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Die Pestspur

Die Pestspur

Titel: Die Pestspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Geräusche im Wasser sorgte, machten sich ihre suchenden Blicke zunächst dort fest.
    Plötzlich schrie Lodewig laut auf: »Da! Seht doch!« Er drehte sich um und zeigte auf etwas Undefinierbares im linksseitig ruhigeren Teil des Teiches.
    Mit zusammengekniffenen Augen versuchten die Frauen, den Grund für die Aufregung der Kinder und für Lodewigs Aufschrei ausfindig zu machen. Zunächst erkannten sie nur etwas, das wie Abfall aussah. Äste und faulig riechender gelblicher Schaum vermischten sich mit Gehölz und dem Gewusel von irgendwas. Erst als sie noch ein paar Schritte näher, direkt ans Wasser, traten, entdeckten sie im Schatten des Ufergeästes die Ursache ihres Schreckens. Jetzt schrie auch Judith auf, und Konstanze wandte entsetzt den Kopf ab. Als sie ihre Blicke abermals aufs Wasser lenkten, sahen sie einen menschlichen Körper – oder besser gesagt das, was von ihm übrig geblieben war. Direkt vor ihnen im Brack dümpelte ein aufgedunsener Klumpen aus Fleisch, Gebeinen und Innereien. Eine Leiche, deren Gesicht und Körper bis zur Unkenntlichkeit entstellt war.
    »Die Krähen!«, entfuhr es Konstanze, die gleichzeitig nach oben sah und sich mit einer Hand den Mund zuhielt, um jetzt nicht auch noch zu schreien. Hastig bekreuzigte sie sich mit der anderen Hand und schaute nach ihren Kindern, um sich zu vergewissern, dass sie sich in sicherer Entfernung befanden.
    In Konstanze keimte eine böse Ahnung, weswegen sie Lodewig ganz fest an sich drückte. Erst nach einer Weile fassten sich die Betrachter der schauerlichen Szenerie wieder.
    »Wer könnte das sein?«, fragte Judith mit zittriger Stimme.
    Der menschliche Körper war von der Leichenfauna und den Krähen derart zugerichtet worden, dass sie nicht einmal mehr erkennen konnten, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Der gesamte Bauchraum war geöffnet und gab Rippen und den kärglichen Rest der Innereien frei. Der Hirnschädel war nur noch teilweise von einer schmutzigen, schleimig wirkenden Schicht überzogen und wies kaum noch Hautreste auf, weshalb auch nur einige vereinzelte Haarbüschel zu erkennen waren. Obwohl am Gesichtsschädel von den kleinen Aasfressern nicht die geringsten Weichteile übrig gelassen worden waren, wanden sich durch alle Öffnungen Maden, deren zangenartige Mundwerkzeuge ebenfalls ganze Arbeit geleistet hatten. Jetzt, da die Krähen verschwunden waren, krochen Hunderte dieser ekligen Viecher hervor, um die organischen Stoffe, die noch in den über die Wasseroberfläche ragenden Teilen der Leiche enthalten waren, genüsslich zu verzehren. Dadurch bot sich den Anwesenden ein unerträglich ekelerregender Anblick, der von leisen, aber dennoch hörbaren Schmatzgeräuschen begleitet wurde … zumindest bildeten sie sich dies ein. Als sich das Lüftchen drehte, kam ihnen auch noch ein bestialischer Gestank entgegen, der sie flüchten ließ.

    *

    So war ein friedlicher Sonntagnachmittag jäh beendet worden. Gemeinsam eilten die Bombergs und die Dreylings von Wagrain bis zur Straße hoch und setzten sich erschöpft auf die grob geschlagene, aus drei Baumhälften bestehende Bank, die direkt vor einem Feldkreuz am Fuße des Kalvarienberges stand. Die Mütter schwiegen. Sie hatten ihre Kleinen im Arm und streichelten deren Köpfe.
    Konstanze musste unwillkürlich an den älteren Blaufärbersohn denken: Wenn die Leiche Otward Opser ist, dann habe ich recht gehabt, und meine Söhne sind in Lebensgefahr. Sie drückte Diederich an sich und blickte zu Lodewig, der mit Sarah ein Stückchen entfernt in der Wiese saß, hinüber.
    Auch die beiden Verliebten brachten kein Wort heraus. Allerdings hatte die schreckliche Sache mehrere Vorteile für Lodewig: Sarah hatte sich so vertraut an ihn gekuschelt, als würden sie schon lange zusammengehören, und obwohl dies unter normalen Umständen undenkbar gewesen wäre, äußerten sich ihre Mütter nicht dazu. Selbst Judith ließ ihre zu absoluter Keuschheit erzogene Tochter gewähren – zu sehr war auch sie damit beschäftigt, das Unfassbare zu verarbeiten und sich um Lea zu kümmern.
    Irgendwann durchbrach Konstanze das Schweigen, indem sie sagte: »Bis ich mit meinem Mann gesprochen habe, dürfen wir dies niemandem erzählen.« Dabei sah sie Judith tief in die Augen.
    Die in sich gekehrte Jüdin nickte. »Du kannst dich auf mich verlassen … Ich erzähle es nur Jakob.«
    Jetzt nickte Konstanze.
    »Und ihr sagt ebenfalls zu niemandem ein Wort«, beschworen die Mütter ihre Kinder, bevor sie

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