Die Pestspur
Festtagsgewandung, aber heute war das etwas anderes. Sarah war hier, und da wollte er schließlich im besten Licht erscheinen. Nachdem er sich freiwillig wie ein Pfau herausgeputzt und sich sogar die Fingernägel geschnitten hatte, wusste Konstanze ganz sicher, dass Lodewig ernsthaft in Sarah verliebt war. Hoffentlich gibt es keine Enttäuschung, dachte sie, während sie nach ihrem Jüngsten rief: »Diederich! Kommst du? … Lea ist hier!«
Sarah hatte zwar auch schon seit geraumer Zeit ein Auge auf den mittleren Sohn des Kastellans geworfen, wusste aber nicht, dass sich Lodewig schon vor langem in sie verguckt und seit ihrem zufälligen Zusammentreffen ernsthaft in sie verliebt hatte. Dementsprechend war wenigstens sie die Begegnung einigermaßen ungezwungen angegangen.
Während Konstanze ihrer neuen Freundin die ansonsten für das gemeine Volk unzugänglichen Räume des Schlosses zeigte, tollten Diederich und Lea sorglos im Schlosshof umher.
Derweil hatte sich Lodewig mit Sarah unauffällig zurückgezogen. Sie saßen jetzt schon fast die Hälfte einer Stunde außerhalb des Schlosses auf dem ostseitigen Wachbänkchen – genau gegenüber des Platzes auf dem Staufenberg, von dem aus Lodewig vor einiger Zeit Diederich das Schloss erklärt hatte. Ein lockeres Gespräch war aber immer noch nicht zustande gekommen.
»Hier ist in Krisenzeiten stets eine bewaffnete Wache postiert«, sagte Lodewig aus Verlegenheit, während er auf das dort stehende Bänkchen deutete und über die Sitzfläche strich, um sie für Sarah zu reinigen. Das sanfte Mädchen setzte sich, interessierte sich aber nicht für Kriege oder andere Probleme und ließ sich stattdessen von der schönen Aussicht gefangen nehmen. »Man sieht hier über den ganzen Ort bis zum Staufenberg hinüber … und das ist die Nagelfluhkette«, erklärte Lodewig und begann hastig, die imposanten Berge der Reihe nach aufzuzählen: »Das Rindalpner Horn, der Obergölchenwanger Grat und der Lauchalpner Grat . Ganz rechts sind die Schweizer Berge mit dem Säntis … den können wir von hier aus aber nicht sehen«, sprudelte es aus dem Verliebten heraus, während er vorsichtig näher zu Sarah rückte. Mist, dachte er, als seine Angebetete aufstand, um besser den steilen Schlossbuckel hinuntersehen zu können. Offensichtlich wollte sie keinen Naturkundeunterricht. Ich Narr, schalt sich Lodewig.
»Und das da unten ist der berühmte Entenpfuhl!«, lästerte Sarah, die sich von diesem Treffen etwas anderes erhofft hatte, in gespielt schulmeisterlichem Ton. »Aber darüber kreisen ja lauter Raben«, stellte sie verwundert fest, bevor sie sich wieder auf die Bank setzte, um erwartungsvoll abzuwarten, was jetzt geschehen würde.
»Das sind Krähen«, verbesserte Lodewig, der gemerkt hatte, dass er Sarah die Bergkette nicht hätte erklären müssen, weil sie selbst hier lebte und sich dementsprechend gut auskannte. »Die sind schon seit ein paar Tagen da. Möchtest du da runter?«, lenkte er deswegen ab und ging gleichzeitig auf Sarah ein.
»Ja! Das wäre schön.«
Lodewig war froh, das Eis endlich gebrochen zu haben.
»Komm Sarah, wir gehen erst zurück ins Schloss. Ich werde meiner Mutter vorschlagen, zum Entenpfuhl hinunterzugehen. Eigentlich wollte sie ja zum ›Windeck‹ hochspazieren, weil es von dort aus eine noch schönere Aussicht auf die Berge gibt als von hier, aber ich werde sie schon umstimmen können.«
Die beiden suchten ihre Mütter und fanden sie schließlich fachsimpelnd in Konstanzes Gemüsegarten neben dem Schlosstor.
»Gut, dass ihr kommt. Wir möchten noch eine Runde laufen. Schaut bitte nach, wo die Kleinen sind«, rief ihnen Konstanze, die Sarahs Wunsch geahnt zu haben schien, zu.
Nachdem Lodewig seine Bitte angebracht und die Kleinen geholt hatte, spazierten sie anstatt zum Windeck hoch schweigsam den Schlossbuckel hinunter.
»Hast du schon gehört, dass der Rotgerber gestorben ist? – Es soll die Pest gewesen sein«, unterbrach Judith die Ruhe.
»Natürlich weiß ich davon. Aus diesem Grund ist mein Mann – ungeachtet des Sonntages – heute früh schon wieder nach Immenstadt geritten, um mit Oberamtmann Speen darüber zu sprechen. Ulrich schenkt den Pestgerüchten keinen richtigen Glauben und weiß deshalb nicht, wie er sich verhalten soll. Da sich die meisten Menschen jetzt schon vor diesem unsichtbaren Geist verkriechen, befürchtet er eine unsinnige Panik, die er verhindern möchte … Und ihr? Habt ihr keine Angst vor der Pest?«, fragte
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