Die Pfade des Schicksals
Handfesseln geschmiedet, weil sie diesen Tag vorausgesehen hatten. Seit Linden ihnen erstmals begegnet war, waren die Dämondim-Abkömmlinge ihr jedes Mal zur Hilfe gekommen, wenn Esmer sie bedroht hatte. Aber jetzt bewiesen sie ihm Mitgefühl?
Jahrhunderte, sogar Jahrtausende lang hatten sie zu den gefürchtetsten Dienern des Verächters gehört…
Linden schloss die Finger um das warme Holz ihres Stabs und versuchte erneut, sich hochzustemmen.
Das leuchtende Silber von Caerroil Wildholz’ Runen war verschwunden. Sie waren wieder stumme magische Zeichen. Aber der Stab hatte die tiefe Schwärze ihres Feuers behalten. Sie konnte sich kein Feuer vorstellen, das ihn jemals wieder reinigen würde. Trotzdem blieb er der Stab des Gesetzes, ein Werkzeug von Erdkraft und Gesundheit. Als Linden ihn um etwas Kraft bat, gewährte er ihr seine vertrauten Gaben.
Sie kam auf die Beine und stützte sich zitternd auf ihn, bis sie wieder sicher stand.
Wohin sie auch blickte, war der Erdboden mit Blut und Unrat verschmutzt, mit abgehackten Gliedmaßen und verstümmelten Leichen übersät. Weggeworfene Waffen und zerspellte Rüstungen bedeckten den Grat. Wo das Hauptgemetzel stattgefunden hatte, war der weiche Gips so verfärbt, dass nur noch einzelne weiße Flecken auszumachen waren…
Sie überlegte kurz, ob sie den Grat säubern sollte. Das wäre ihre nächste Aufgabe gewesen. Ein Scheiterhaufen für die Toten: irgendeine Form der Genugtuung für die verratenen Hügel. Aber dann spürte sie, wie Thomas Covenant mit kraftvollem Schritt aus Süden herankam, als hätte er vor, eine schwere Last aus Zorn und Tadel abzuladen. Gleichzeitig war unverkennbar, dass Anele näher an den letzten Abgrund seines Lebens heranglitt. Stürzte er hinein, würden andere ihm bald folgen - und auch sie waren ihre Freunde. Wie Liand hatten sie ihr weit mehr gegeben, als sie jemals von ihr bekommen hatten.
Indem Linden Avery die Schultern zurücknahm, um den stummen Vorwürfen der Toten zu begegnen, verließ sie den Grabhügel, um wieder so zu tun, als wäre sie eine Heilerin.
Als Erstes ging sie zu Jeremiah. Mit einer Hand streichelte sie seine schlaffe Wange - nur lange genug, um sich davon zu überzeugen, dass er weiter in seinem Inneren gefangen blieb. Diese Tatsache kränkte sie. Trotzdem war es eine Tatsache, dass er von dem Croyel befreit war … Wenigstens in diesem Punkt hatte das Versprechen seines wiederhergestellten Rennautos sich erfüllt. Obwohl die empfangene Erdkraft ihn mit Vitalität bereicherte, ließ er nicht erkennen, ob er diese neue Kraft nutzen konnte.
Aber die von den Zähnen des Scheusals stammenden offenen Wunden an seinem Hals hatten schon zu verheilen begonnen.
Linden schloss ihn kurz in die Arme. Sie hatte allzu lange ohne den einfachen Trost, ihn berühren zu dürfen, auskommen müssen. Dann - während Covenant noch immer zu weit entfernt war, um über sie urteilen zu können - wandte sie sich den Leiden ihrer verwundeten Gefährten zu.
Von den Riesinnen erwiderten nur Raureif Kaltgischt und Frostherz Graubrand Lindens bedauernden Blick. Sturmvorbei Böen-Ende kniete neben Rahnock, drückte beide Hände auf ihre Hüfte und versuchte, eine Blutung zum Stehen zu bringen. Trotz eigener Verletzungen nahm die einarmige Zirrus Gutwind bei Onyx Steinmangold eine Herzdruckmassage vor, als fürchtete sie, Steinmangold könnte sonst aufhören zu atmen. Steinmangolds Brustpanzer war dabei hinderlich, aber Gutwind besaß offenbar nicht mehr die Kraft, ihn ihr abzunehmen. Spätgeborene, die sich mühsam bewegte, als hätte sie Rippenbrüche, bemühte sich, Graubrands Bein über dem in ihrem Oberschenkel steckenden Speer abzubinden. Nach einem Blick zu Linden hinüber arbeitete Kaltgischt an Rüstig Grobfausts ausgerenktem rechtem Arm weiter.
Von den Urbösen und Wegwahrern bekamen alle Vitrim, die es trinken konnten oder wollten. Durch ihr geheimnisvolles Mittel gestärkt hatte Mähnenhüter Mahrtiir sich so weit erholt, dass er Covenants Rückkehr stehend erwarten konnte. Und Bhapa stand neben ihm. Beide kehrten Linden den Rücken zu. Aber sie sah an ihrer steifen Haltung, an ihren verkrampften Schultern, dass sie sich darauf vorbereiteten, den Zorn des Zweiflers an ihrer Stelle zu ertragen.
Sie hätte vielleicht versucht, etwas zu sagen, obwohl alle Worte, die sie kannte, wie weggebrannt waren. Aber Staves Anblick verschlug ihr die Sprache.
Er saß mit gespreizten Beinen in Schmutz und gerinnendem Blut: so unbeweglich,
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