Die Pfade des Schicksals
nur, mit wem er wettet - und wie und weshalb. Von uns kann man das nicht behaupten. Wir sind darüber hinausgegangen, denn wir können weder unseren Feind noch die eigenen Absichten benennen.«
Bevor Linden antworten konnte, riet Frostherz Graubrand ihr freundschaftlich barsch zu: »Hör nicht auf sie, Linden Riesenfreundin. Die Eisenhand macht lahme Scherze. Sie will nur sagen, dass in so extremen Situationen wie der unsrigen alle Risiken ziemlich gleich sind.
Thomas Covenant setzt alles auf die eigene Kraft und Erfindungsgabe - und auf die brüchige Extravaganz einer besessenen Weißgoldträgerin. Wir dagegen haben beschlossen, unser Schicksal und das des Landes, der ganzen Erde den Ranyhyn anzuvertrauen. Die Zeit - falls sie überdauert - wird zeigen, wer klüger gewesen ist.«
»Und stimmt es nicht auch«, warf Mahrtiir ein, »dass wir durch Zäsuren und andere Übel stärker gefährdet sind als der Zeitenherr? Wir sind vergleichsweise viele und entsprechend verwundbar. Die Gedemütigten und er sind nur zu dritt. Also können sie bestimmt nicht mehr Schutz benötigen als wir.«
»Außerdem«, stellte Stave nüchtern fest, »hat der Zweifler dir eine andere Aufgabe zugewiesen. Versuchst du jetzt, ihn zu retten, verhinderst du vielleicht einen wichtigeren Zweck, den wir nicht verstehen.«
Dagegen lehnte Lindens ganzes Ich sich auf. Das versteht ihr nicht! Sie wusste fast nicht mehr, wie sie die Finsternis abwehren sollte, die ihr Herz zu füllen drohte. Ich will etwas Sinnvolles tun. Ich kann nicht zulassen, dass Joan ihn ermordet.
Aber das war es nicht, was er von ihr wollte. Ich erwarte, dass du tust, was du immer getan hast. Etwas Unerwartetes. Und sie hatte bereits ihre Chance verpasst, ihm zu helfen; das wusste sie. Als sie zugelassen hatte, dass er davonritt, hatte sie auf das Recht verzichtet, sein Schicksal zu teilen - oder ihn aufzufordern, ihres zu teilen. Jetzt war es zu spät, sich die Sache anders zu überlegen. Keiner ihrer Fehler ließ sich ungeschehen machen. Ermordete Joan Covenant, konnte Linden niemanden außer sich selbst dafür verantwortlich machen. Vertrauen war ein bitterer Scherz - und sie hatte vergessen, wie man lachte.
Linden wich den besorgten Blicken ihrer Gefährten aus und versuchte so zu tun, als hätte sie ihr emotionales Gleichgewicht wiedergewonnen. »Also gut. Ich habe verstanden.« Sie wollte die verfehlten Beruhigungsversuche der anderen nicht mehr hören. »Ich wollte nur, ich könnte bei ihm sein.
Macht euch keine Sorgen um mich. Ich glaube, ihr braucht alle Ruhe. Versucht möglichst zu schlafen. Ich suche mir einen Platz mit Aussicht. Die Ranyhyn können uns nicht retten, wenn eine Zäsur zu nahe kommt.«
Sie wandte sich ab, weil sie hoffte, dadurch weitere Diskussion vermeiden zu können. Da sie nicht wusste, ob sie bei dieser Dunkelheit die glatten Basaltfelsen würde erklettern können, folgte sie der Fährte der Pferde talauswärts.
Sie hörte die Riesinnen besorgt tuscheln, spürte Mahrtiirs sorgenvolle Aufmerksamkeit und Staves nüchternen Blick. Jeremiahs Teilnahmslosigkeit machte klar, dass er sie nicht brauchte. Linden packte ihren Stab fester und zwang sich dazu, rascher auszuschreiten.
Ihre Eltern hatten sie gelehrt, mit Verzweiflung umzugehen; aber es gab auch andere Methoden. Einige hatte sie von ihren Patienten im Berenford Memorial Hospital gelernt.
Wenig später erreichte Linden jenseits des Basalts einen Südhang, aber als sie ihn erstieg, war der Grat so niedrig, dass sie nach allen Seiten kaum einen Steinwurf weit sehen konnte. Also ging sie weiter und erstieg den etwas höheren nächsten Hügel.
Dort oben konnte sie ungefähr eine Dreiviertelmeile weit in die Runde sehen. Genügte das? Sie wusste es nicht. Aber dieser Aussichtspunkt gefiel ihr. Hier konnte sie die von ihren Gefährten ausgehenden Schwingungen nicht mehr spüren. Und der Boden war mit losen Steinen bedeckt, von denen einige für ihren Zweck scharf genug waren.
Obwohl sie auf ihre Weise ebenso erschöpft war wie die Schwertmainnir, musste sie wach bleiben. Hunger und Durst konnten für gewisse Zeit verhindern, dass sie einschlief. Auch die Kälte konnte nützlich sein. Aber sie brauchte mehr, hatte andere Pläne.
Irgendwo in der Nacht wieherte ein Ranyhyn leise fragend. Das war doch sicher Hyn? Linden wusste nicht, wie sie ihr antworten sollte, und der Ruf wurde nicht wiederholt.
Sie hatte das Bedürfnis, allein zu sein. Aber als sie auf unbequemen Steinen sitzend den
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