Die Pfeiler der Macht
Beistelltischchen und den Flügel überzog. »Du hast das Zimmer neu eingerichtet, Tante«, sagte er überflüssigerweise zu Augusta.
»Alles stammt aus der Werkstatt von William Morris in Oxford«, bemerkte Clementine. »Es ist das Modernste, was es gibt.«
»Wir müssen allerdings den Teppich auswechseln lassen«, ergänzte Augusta. »Er paßt farblich nicht zum Ensemble.« Hugh erinnerte sich: Augusta war nie zufrieden. Fast die gesamte Familie Pilaster hatte sich versammelt. Sie platzen alle schier vor Neugier, dachte Hugh. Mit Schimpf und Schande hatten sie ihn davongejagt und wohl damit gerechnet, ihn nie wiederzusehen. Aber sie hatten ihn unterschätzt, und jetzt war er wie ein siegreicher Held zurückgekehrt. Einen solchen Burschen mußte man wohl doch noch einmal genauer unter die Lupe nehmen ...
Der erste, dem Hugh die Hand schüttelte, war sein Vetter Edward. Er war jetzt neunundzwanzig, sah aber älter aus. Edward hatte beträchtlich zugenommen, und das gerötete Gesicht verriet den Gourmand. »Da bist du also wieder«, sagte er und verzog das Gesicht. Was als Lächeln gedacht sein mochte, mißglückte zu einem höhnischen Grinsen. Hugh konnte ihm kaum einen Vorwurf machen. Die beiden Vettern waren schon immer miteinander verglichen worden. Hughs Erfolge warfen daher stets auch ein bezeichnendes Licht auf Edwards berufliches Versagen.
Neben Edward stand Micky Miranda. Nach wie vor blendend aussehend und makellos gekleidet, erschien er Hugh glatter und selbstbewußter denn je zuvor. »Hallo, Miranda!« sagte Hugh.
»Arbeitest du immer noch für den Gesandten Cordobas?«
»Ich b in der Gesandte Cordobas«, lautete die Antwort, die Hugh nicht allzusehr überraschte.
Es freute ihn, daß auch seine alte Freundin Rachel Bodwin zugegen war. »Hallo, Rachel, wie geht es Ihnen?« fragte er. Sie war nie ein hübsches Mädchen gewesen, hatte sich aber zu einer ansehnlichen Frau entwickelt. Ihre Züge waren sehr ausgeprägt, und die Augen standen ein wenig zu dicht beieinander, doch was vor sechs Jahren noch ziemlich unattraktiv gewirkt hatte, war nun auf eigentümliche Weise reizvoll. »Wie geht es Ihnen, und was treiben Sie?«
»Ich kämpfe für eine Reform des Eigentumsrechts zugunsten der
Frauen«, antwortete Rachel. Dann lächelte sie breit und fügte hinzu:
»Sehr zum Verdruß meiner Eltern, denen es lieber wäre, ich würde mir endlich einen Ehemann erkämpfen.« Sie war schon immer von bestürzender Aufrichtigkeit, dachte Hugh. Ihm persönlich gefiel ihre Art; sie machte Rachel interessant. Aber er konnte sich gut vorstellen, daß viele in Frage kommende Junggesellen dadurch abgeschreckt wurden. Die meisten Männer bevorzugten Frauen, die ein bißchen schüchtern und nicht allzu gescheit waren.
Sie plauderten ein wenig über dies und das, und Hugh fragte sich, ob Augusta noch immer darauf erpicht war, ihn mit Rachel zu verkuppeln. Es wäre mehr oder weniger belanglos gewesen, denn der einzige Mann, für den Rachel bislang echtes Interesse gezeigt hatte, war Micky Miranda. Auch jetzt achtete sie darauf, Micky in die Unterhaltung mit Hugh einzubeziehen. Was die Mädchen an Micky so unwiderstehlich fanden, war Hugh stets ein Rätsel geblieben, und ganz besonders bei Rachel wunderte es ihn, war sie doch intelligent genug, den Schuft in ihm zu erkennen. Doch irgendwie hatte es den Anschein, als wäre es gerade diese Eigenschaft, die sie an Micky faszinierte. Hugh ging weiter und schüttelte dem jungen William und seiner Frau die Hand. Beatrice begrüßte Hugh herzlich, was ihn zu dem Schluß veranlaßte, daß sie nicht ganz so unter Augustas Pantoffel stand wie die anderen Frauen der Familie.
Sie wurden von Hastead unterbrochen, der Hugh einen Umschlag reichte. »Wurde soeben von einem Boten überbracht«, sagte er. Das Kuvert enthielt eine Einladung, die nach Hughs Eindruck von einem Sekretär geschrieben worden war:
123, Piccadilly London, W.
Dienstag
Mrs. Solo m on Greenbourne bittet Sie heute abend beim Dinner um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft.
Darunter standen in vertrautem Gekritzel die Worte:
Willkommen daheim! - Solly.
Das war nicht schlecht. Bei Solly war es immer nett, er war ein liebenswerter, umgänglicher Kerl. Warum können die Pilasters nicht ebenso locker sein? fragte sich Hugh. Sind Methodisten denn von Natur aus zugeknöpfter als Juden? Aber vielleicht gibt es ja auch in der Familie Greenbourne Spannungen, von denen ich bloß nichts weiß ...
»Der Bote
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