Die Pfeiler der Macht
mal«, sagte Papa. »Ich will genau wissen, wie das gehandhabt wird.«
Es freute Micky, daß er seinem Vater etwas beibringen konnte.
»Die Bank begleicht die Rechnung der Fabrik in Birmingham und kümmert sich darum, daß die Waffen nach Cordoba verschifft werden und auf der Fahrt ordnungsgemäß versichert sind. Wenn sie angekommen sind, wird die Bank in ihrer Niederlassung in Cordoba deine Bezahlung entgegennehmen.«
»Aber dann muß die Bank das Silber nach England verschiffen.«
»Nicht unbedingt. Vielleicht bezahlt sie damit eine Fracht Pökelfleisch von Cordoba nach London.«
»Aber wie wollen diese Bankleute davon leben?«
»Sie schneiden sich überall ein Scheibchen Profit ab. Sie handeln mit dem Waffenfabrikanten einen herabgesetzten Preis aus, berechnen eine Vermittlungsgebühr für Fracht und Versicherung und lassen sich von dir den vollen Preis für die Gewehre bezahlen.«
Papa nickte. Obwohl er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war er beeindruckt. Micky spürte es und war glücklich. Sie verließen den Park, überquerten die Kensington Gore und erreichten das Haus, das Joseph und Augusta Pilaster gehörte. In den sieben Jahren, die seit Peter Middletons Tod vergangen waren, hatte Micky all seine Ferien bei den Pilasters verbracht. Nach Schulabschluß hatte er sich mit Edward für ein Jahr auf eine Reise durch Europa begeben und war danach drei Jahre lang Edwards Zimmergenosse an der Universität von Oxford gewesen, wo sie sich nur im äußersten Notfall ihren Studien, hauptsächlich aber ihren Zechgelagen und dem Glücksspiel widmeten und keine Gelegenheit ausließen, Unruhe zu stiften.
Micky hatte Augusta nie wieder geküßt, obwohl er es gerne getan hätte. Er hätte sogar gerne mehr getan, als sie nur zu küssen. Und er spürte, daß sie ihm das vielleicht sogar erlaubt hätte. Denn er war davon überzeugt, daß unter dem Firnis ihrer eisigen Arroganz das heiße Herz einer leidenschaftlichen, sinnlichen Frau schlug. Aus reiner Berechnung hatte Micky sich zurückgehalten. Daß es ihm gelungen war, von einer der reichsten Familien Englands beinahe wie ein Sohn aufgenommen zu werden, war ein unschätzbarer Vorteil. Es wäre heller Wahnsinn gewesen, Joseph Pilasters Ehefrau zu verführen und damit diese Vorzugsstellung zu gefährden. Trotzdem träumte er immer wieder davon. Edwards Eltern waren erst kürzlich in ihr neues Haus gezogen. Auf der Südseite der Kensington Gore, vor nicht allzu langer Zeit noch eine Landstraße, die von Mayfair durch die Felder in das Dorf Kensington geführt hatte, reihte sich inzwischen Villa an Villa, eine großartiger und prächtiger als die andere. Auf der Nordseite lagen der Hyde Park und die Gärten von Kensington Palace. Für eine reiche Bankiersfamilie war diese Umgebung geradezu ideal.
Der Baustil des Pilasterschen Hauses sagte Micky dagegen weniger zu.
Erstaunlich war das Haus aus roten Ziegeln und weißen Natursteinen auf jeden Fall. Große bleiverglaste Fenster zierten das Erdgeschoß und den ersten Stock, über dem ein hoher Dreiecksgiebel mit drei Reihen Fenstern aufragte: sechs in der untersten Reihe, vier in der mittleren und zwei weitere in der Giebelspitze. Vermutlich verbargen sich dahinter Schlafzimmer für unzählige Verwandte, Gäste und Dienstboten. Auf jeder Treppe des Giebels ruhte ein in Stein gehauenes Tier: Löwen, Drachen und Affen. Die Spitze des Giebels trug ein gemeißeltes Schiff, das unter vollen Segeln stand. Vermutlich stellte es das Sklavenschiff dar, auf das sich, der Familienlegende zufolge, der Pilastersche Wohlstand gründete.
»Ein zweites Haus wie dieses findest du in ganz London nicht«, sagte Micky. Sie waren stehengeblieben und betrachteten das Gebäude.
Papa antwortete auf Spanisch: »Das ist zweifellos der Eindruck, den die Dame erwecken wollte.«
Micky nickte. Papa kannte Augusta noch nicht, schätzte sie aber offensichtlich richtig ein.
Das Haus verfügte über ein großes Untergeschoß. Über dem umlaufenden Fensterschacht führte eine Brücke zur Eingangstür. Sie stand offen. Vater und Sohn Miranda traten ein. Augusta hatte zum Nachmittagstee geladen, um ihr neues Haus vorzuführen. Gäste und Dienstpersonal drängten sich in der eichengetäfelten Eingangshalle. Micky und sein Vater gaben ihre Hüte einem Diener und bahnten sich dann ihren Weg durch die Menge in das weitläufige Wohnzimmer im rückwärtigen Teil des Hauses. Die Flügeltüren standen offen, und die Gäste verteilten sich auf der
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