Die Pfeiler der Macht
Hugh war beinahe zu Tränen gerührt. Das Hilfsangebot seines alten Freundes bewegte ihn tief. »Ich werde es ihr vorschlagen«, erwiderte er wortkarg, um seine Rührung zu verbergen. Dann erhob er sich und wandte sich zum Gehen.
»Ich hoffe, ich bin dir nicht zu nahe getreten«, sagte Solly betroffen, als sie sich zum Abschied die Hand gaben. Hugh ging zur Tür. »Ganz im Gegenteil. Verdammt noch mal, Greenbourne, du bist ein besserer Freund, als ich es verdient habe.«
Als Hugh an seinen Schreibtisch im Bankhaus Pilaster zurückkehrte, fand er eine Nachricht vor. Sie lautete:
10.30 Uhr
Mein lieb e r Pilaster,
ich muß Dich so schnell wie möglich sprechen.
Du findest m i ch in Plages Kaffeehaus um die Ecke. Ich warte dort auf Dich.
Dein alter Freund Antonio Silva
Tonio war zurück! Seine Karriere hatte vor Jahren ein jähes Ende gefunden, weil er im Kartenspiel mit Edward und Micky mehr Geld verloren hatte, als er sich leisten konnte. In Schimpf und Schande hatte er das Land verlassen, ungefähr gleichzeitig mit Hugh. Wie war es ihm seither ergangen? Voller Neugier begab sich Hugh sofort zum angegebenen Treffpunkt. Der Tonio, den er dort vorfand, war älter und bedächtiger geworden und wirkte nicht mehr so gepflegt wie früher. Er saß in einer Ecke und las die Times.
Der karottenrote Haarschopf hatte sich kaum verändert, doch davon abgesehen hatte der Mann nicht mehr viel gemein mit d e m stets zu Streichen aufgelegten Schuljungen und dem ausschweifenden jungen Mann, an den sich Hugh noch gut erinnern konnte. Tonio war erst sechsundzwanzig - so alt wie Hugh -, doch in seinen Augenwinkeln zeigten sich bereits feine Sorgenfältchen. »Ich war in Boston recht erfolgreich«, sagte Hugh als Antwort auf Tonios erste Frage. »Seit Januar bin ich wieder hier - und habe mit meiner verdammten Familie schon wieder den größten Ärger am Hals. Aber wie geht es dir?«
»In meiner Heimat hat sich viel verändert. Meine Familie ist nicht mehr so einflußreich wie früher. Wir kontrollieren noch immer Milpita, die Provinzstadt, aus der wir stammen, aber in der Hauptstadt haben sich andere zwischen uns und Präsident Garcia gedrängt.«
»Wer?«
»Die Parteigänger der Mirandas.«
»Also Mickys Familie?«
»Genau. Sie haben sich die Salpetergruben im Norden des Landes unter den Nagel gerissen und sind dadurch reich geworden. Und wegen ihrer Verbindungen mit der Bank deiner Familie monopolisieren sie den Europahandel.«
Hugh war überrascht. »Daß Edward viele Geschäfte mit Cordoba macht, wußte ich«, sagte er, »aber daß das alles durch Mickys Hände geht, ist mir neu. Doch das macht ja wohl nicht viel aus, nehme ich an.«
»Und ob es was ausmacht!« erwiderte Tonio und zog ein mehrseitiges Manuskript aus der Manteltasche. »Nimm dir einen Augenblick Zeit, und lies das mal durch. Es handelt sich um einen Artikel, den ich für die Times geschrieben habe.« Hugh nahm das Manuskript entgegen und begann zu lesen. Der Artikel schilderte die Lebensumstände der Minenarbeiter in einer Salpetergrube der Mirandas. Da der Export vom Bankhaus Pilaster finanziert wurde, machte Tonio die Bank für die schlechte Behandlung der Arbeiter verantwortlich. Anfangs ließ der Text Hugh ziemlich ungerührt: lange Arbeitszeiten, schlechte Löhne und Kinderarbeit kamen in allen Bergbauregionen der Welt vor.
Doch je länger er las, desto schlimmer wurde es. In den Gruben des Miranda-Clans waren die Aufseher mit Peitschen und Pistolen ausgerüstet und machten zur Aufrechterhaltung der Disziplin rücksichtslos davon Gebrauch. Arbeiter - darunter Frauen und Kinder
-, die angeblich zu langsam arbeiteten, wurden ausgepeitscht, und sie konnten sogar erschossen werden, wenn sie versuchten, ihren Arbeitsplatz vor Ablauf ihrer Arbeitsverträge zu verlassen. Tonio verfügte über Augenzeugenberichte solcher »Exekutionen«.
Hugh war entsetzt. »Aber das ist doch blanker Mord!« sagte er.
»Du hast es erfaßt.«
»Weiß der Präsident darüber Bescheid?«
»Ja. Aber die Mirandas stehen jetzt in seiner Gunst.«
»Und deine Familie ...«
»Es gab einmal eine Zeit, da wären wir imstande gewesen, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Heute sind wir vollauf mit der Sicherung unserer eigenen Provinz beschäftigt.«
Hugh empfand es als demütigend, daß seine Familie und ihre Bank solche Brutalitäten finanzierte. Doch dann verdrängte er seine Gefühle einen Augenblick und versuchte, nüchtern die Konsequenzen zu überdenken.
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