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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eingeschränkten Verhältnissen weideten, war ihr unerträglich. Sie würde außer Landes gehen.
    Das genaue Ziel ihrer Reise kannte sie noch nicht. Calais war billig, lag aber nicht weit genug von London entfernt. Paris war elegant, doch fühlte sie sich zu alt für den gesellschaftlichen Neubeginn in einer fremden Stadt. Sie hatte von einem Ort namens Nizza an der französischen Mittelmeerküste gehört, wo große Häuser samt Domestiken für einen Spottpreis zu haben waren und eine ruhige Ausländerkolonie bestand, darunter zahlreiche Menschen ihrer Altersgruppe, denen die Seeluft und die milden Winter zusagten.
    Aber von guter Luft allein konnte sie nicht leben. Sie brauchte Geld für die Miete und die Löhne des Personals. Und obwohl sie zu einem frugalen Leben bereit war, konnte sie ohne Kutsche nicht auskommen. Sie hatte nur noch sehr wenig Bargeld, nicht mehr als fünfzig Pfund - daher auch jener verzweifelte Versuch, Diamanten zu kaufen. Neuntausend Pfund waren auch nicht die Welt, aber sie mochten für ein paar Jahre ausreichen. Daß sie Hughs Pläne durchkreuzte, war ihr klar. Edward hatte recht: Der gute Wille des Konsortiums war davon abhängig, ob es die Familie mit der Rückzahlung ihrer Schulden ernst meinte. Ein Familienmitglied, das aus der Reihe tanzte und sich mit einem Koffer voller Juwelen nach Europa absetzte, war durchaus imstande, der fragilen Koalition den Rest zu geben. Für Augusta gewann der Fluchtgedanke dadurch noch an Attraktivität: Nur allzu gerne hätte sie diesem selbstgerechten Hugh noch ein Bein gestellt.
    Sie brauchte das nötige Grundkapital, alles andere war ein Kinderspiel: Sie würde ihren Koffer packen - ein einziger mußte genügen - und im Schiffahrtsbüro ihre Überfahrt buchen. Am nächsten Morgen würde sie dann in aller Frühe eine Droschke zum Bahnhof nehmen und sich per Zug davonstehlen, ohne irgend jemandem etwas davon zu erzählen. Nur: Woher sollte sie das Geld nehmen?
    Sie sah sich im Zimmer ihres verstorbenen Gatten um. Ein kleines Notizbuch fiel ihr auf. Sie schlug es neugierig auf und stellte fest, daß jemand ein Inventar der Einrichtung erstellte - vielleicht Stoddart, der Angestellte des Immobilienmaklers. Es war empörend, das persönliche Eigentum in einem Notizbuch aufgelistet und taxiert zu sehen: Eßtisch 8 Pfund, ägyptischer Wandschirm 30 Shilling, Frauenporträt von Joshua Reynolds 100 Pfund ... Allein der Wert der Gemälde im Haus mußte sich auf einige Tausend Pfund belaufen. Nur ließen sich die Bilder eben nicht in einem Koffer verstauen. Augusta blätterte um und las: 65 Schnupftabaksdosen - von Juwelenabteilung prüfen lassen! Sie blickte auf. Vor ihr, in jenem Schränkchen, das sie Joseph vor siebzehn Jahren gekauft hatte, befand sich die Lösung ihres Hauptproblems. Josephs Sammlung juwelenbesetzter Schnupftabaksdosen war möglicherweise um die hunderttausend Pfund wert. Klein, wie sie waren - sie sollten schließlich in der Westentasche ihrer Besitzer Platz finden -, ließen sich die Kleinode ohne weiteres im Reisegepäck unterbringen. Und man konnte die Dosen, je nach Geldbedarf, Stück für Stück verkaufen.
    Augustas Herzschlag beschleunigte sich. Ihre Gebete waren offensichtlich erhört worden. Sie versuchte, das Schränkchen zu öffnen. Es war verschlossen.
    Augusta erschrak. Sie wußte nicht, ob es ihr gelingen würde, das Schränkchen aufzubrechen. Das Holz war fest, die Glasscheiben klein und dick.
    Sie ermahnte sich zur Ruhe. Wo wird Joseph den Schlüssel aufgehoben haben? fragte sie sich. Wahrscheinlich in der Schreibtischschublade ... Sie zog die Schublade auf. Ein Buch mit dem gräßlichen Titel D i e Herzogin von Sodom lag darin. Hastig schob sie es nach hinten. Darunter kam ein kleiner silberfarbener Schlüssel zum Vorschein. Sie griff hastig danach.
    Mit zitternder Hand führte sie ihn in das Schrankschloß ein. Als sie ihn umdrehte, ertönte ein mechanisches Klicken, und kurz darauf öffnete sich die Tür.
    Augusta Pilaster atmete tief durch und wartete, bis ihre Hände nicht mehr zitterten.
    Dann begann sie, die Dosen aus der Vitrine zu räumen.
     

4. Kapitel
    Dezember 1890
     
    Der Zusammenbruch des Bankhauses Pilaster war der größte gesellschaftliche Skandal des Jahres. Atemlos berichtete die Boulevardpresse über jede neue Entwicklung: über den Verkauf der Villen in Kensington ebenso wie über die Versteigerung der Gemälde, Antiquitäten und Portweinfäßchen und die Absage der ursprünglich geplanten

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