Die Pfeiler der Macht
von ihren Ehemännern verlassen. Ziemlich viele sind ihren Männern davongelaufen, weil sie von ihnen geprügelt wurden. Frauen ertragen eine ganze Menge Schmerzen, und viele bleiben sogar bei ihrem Mann, wenn er sie verletzt hat. Doch wenn sie schwanger sind, fürchten sie, die Schläge könnten dem Kind schaden. Und dann verlassen sie den Mann. Aber den meisten unserer Patientinnen ist es ergangen wie Rebecca: Es sind junge Mädchen, die einfach einen dummen Fehler gemacht haben.«
»Ich hätte nie geglaubt, daß das Leben mir noch soviel beibringen kann«, sagte Greenbourne. »Doch jetzt wird mir klar, wie dumm und unwissend ich gewesen bin.« Maisie reichte ihm eine Tasse Tee.
»Danke«, sagte er. »Das ist sehr nett von dir. Ich war niemals nett zu dir.«
»Wir alle machen Fehler«, sagte sie knapp.
»Du tust viel Gutes hier. Wohin würden diese armen Mädchen denn sonst gehen?«
»Sie würden ihre Kinder in Straßengräben und dunklen Gassen auf die Welt bringen.«
»Allein die Vorstellung, Rebecca hätte es so ergehen können ...«
»Bedauerlicherweise muß die Klinik in Kürze schließen«, sagte Maisie.
»Wieso denn das?«
Sie sah ihm in die Augen. »Unser gesamtes Geld lag beim Bankhaus Pilaster. Wir haben keinen Penny mehr.«
»Tatsächlich?« erwiderte Ben Greenbourne. Er sah sehr nachdenklich aus.
Hugh entkleidete sich und wollte ins Bett gehen, aber an Schlaf war nicht zu denken. Er streifte sich seinen Morgenmantel über, starrte ins Feuer und geriet ins Grübeln. Gab es denn wirklich keine Rettung mehr? Er überlegte hin und her, fand aber keinen Ausweg. Seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Gegen Mitternacht hörte er ein lautes, entschlossenes Klopfen am Haupteingang des Hauses. Im Schlafgewand ging er die Treppe hinunter, um zu öffnen. Am Bordstein hielt eine Kutsche, und vor der Tür stand ein livrierter Bote.
Als Hugh die Tür wieder schloß, kam sein Butler die Treppe herunter. »Alles in Ordnung, Sir?« fragte er beunruhigt. »Nur ein Brief«, sagte Hugh. »Sie können sich wieder hinlegen.«
Er öffnete den Umschlag und erkannte die saubere, altmodische Handschrift eines pedantischen alten Mannes. Als er die Worte las, schlug sein Herz höher vor Freude.
12, Piccadilly
London, S.W.,
den 23. November 1890
Lieber Pila s t er,
nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, Ihrem Vorschlag zuzustimmen. Hochachtungsvoll
B. Greenbourne
Hugh sah auf und blickte strahlend in den menschenleeren Hausflur. »Mich haut's vom Sockel!« sagte er überglücklich. »Ich wüßte nur allzu gerne, was den alten Herrn dazu bewogen hat, seine Meinung zu ändern.«
Augusta saß im Hinterzimmer des besten Juweliers in der Bond Street. Das flackernde helle Licht der Gaslampen ließ die Juwelen in den Vitrinen funkeln. Der Raum war voller Spiegel. Ein serviler Verkäufer tappte durchs Zimmer und präsentierte ihr auf einem schwarzen Samttuch ein Diamanthalsband.
Neben ihr stand der Geschäftsführer. »Und der Preis?« fragte sie.
»Neuntausend Pfund, Lady Whitehaven.« Er hauchte den Preis hin wie ein Gebet.
Das Halsband war schlicht und streng. Es bestand aus einer einzigen Reihe großer, quadratisch geschliffener Diamanten in Goldfassungen. Würde ausgezeichnet zu meinen schwarzen Witwenkleidern passen, dachte Augusta. Aber sie hatte gar nicht vor, es zu tragen.
»Ein edles Stück, Gnädigste, zweifellos das beste, das wir gegenwärtig anbieten können.«
»Drängen Sie mich nicht! Ich denke nach.«
Dies war ihr letzter verzweifelter Versuch, Geld aufzutreiben. Sie war offen und ungeniert in die Bank marschiert und hatte hundert Pfund in Goldsovereigns verlangt - doch der Angestellte, der sie bediente, ein unverschämter Kerl namens Mulberry, hatte die Auszahlung verweigert. Sie hatte versucht, das Haus von Edward auf sich überschreiben zu lassen, aber auch das war schiefgegangen. Die Besitzurkunde lag beim Anwalt der Bank im Safe, und Hugh hatte den alten Bodwin vorgewarnt. Jetzt wollte sie Diamanten auf Kredit kaufen und gegen Bargeld versetzen. Anfangs war Edward noch ihr Komplize gewesen, doch inzwischen stand selbst er nicht mehr auf ihrer Seite. »Was Hugh vorhat, ist für uns alle das beste«, hatte der dumme Bengel zu ihr gesagt. »Wenn bekannt wird, daß einzelne Familienmitglieder versuchen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, kann das Konsortium auseinanderbrechen. Die Leute haben das Geld zur Verfügung gestellt, weil sie
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