Die Pfeiler der Macht
und damit ihrem Gatten den Weg zu ebnen. Es war die reine Niedertracht. Hugh fragte sich, ob Onkel Joseph überhaupt begriff, was seine Frau im Schilde führte.
»Es wäre mir lieber, wir könnten die Dinge ohne solch drastische Maßnahmen regeln«, sagte Joseph betroffen. Augusta senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen, ja intimen Geflüster, das für Hugh ein untrügliches Kennzeichen besonderer Verlogenheit war. Sie kam ihm dann stets vor wie ein Drache, der schnurren wollte wie ein Kätzchen. »Ich bin überzeugt, daß du den richtigen Weg finden wirst«, sagte sie mit einem eindringlich bittenden Lächeln. »Doch sag - wirst du heute mit mir ausfahren? Ich würde mich so über deine Gesellschaft freuen.« Joseph schüttelte den Kopf. »Ich muß in die Bank.«
»Das ist aber schade! Wie kann man sich an einem so herrlichen Tag wie heute in einem staubigen Büro einschließen?«
»In Bologna hat es eine Panik gegeben.«
Hugh horchte auf. Dem »Krach« in Wien waren in verschiedenen Teilen Europas mehrere Bankenzusammenbrüche und Konkurse gefolgt, doch dies war die erste »Panik«. London war bislang nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Juni war der Diskontsatz, das Thermometer der Finanzwelt, auf sieben Prozent, also bis knapp an die Fiebergrenze, gestiegen. Obwohl er mittlerweile wieder auf sechs Prozent gefallen war, versprach der heutige Tag einige Aufregung.
Augusta sagte: »Ich nehme doch an, die Panik betrifft uns nicht.«
»Nicht, solange wir aufpassen«, antwortete Joseph. »Aber heute ist Feiertag, da ist doch niemand in der Bank! Wer soll dir denn deinen Tee kochen?«
»Ich denke doch, daß ich einen halben Tag ohne Tee auskommen kann.«
»Ich werde dir in einer Stunde Sara schicken. Sie hat Kirschkuchen gebacken, den magst du doch so gerne. Sie wird dir ein Stück bringen und Tee für dich kochen.«
Hugh betrachtete das als Stichwort. »Soll ich mitkommen, Onkel? Vielleicht brauchst du einen Sekretär.«
Joseph schüttelte den Kopf. »Nein, ich brauche dich nicht.«
»Vielleicht kann er ein paar Botengänge für dich erledigen«, schlug
Augusta vor.
Hugh grinste. »Vielleicht brauchst du auch einen Berater, Onkel.« Joseph ging auf den Witz nicht ein. »Ich lese bloß die eingehenden Telegramme und entscheide, was zu tun ist, wenn die Finanzmärkte morgen früh wieder öffnen.«
Törichterweise gab Hugh noch immer nicht auf. »Ich würde trotzdem gern mitkommen, bloß aus Interesse.«
Joseph auf den Nerven herumzutanzen war allemal falsch. »Ich sagte doch, daß ich dich nicht brauche«, erwiderte er gereizt. »Fahr mit deiner Tante in den Park, sie braucht eine Begleitung.« Er setzte seinen Hut auf und verließ das Haus. »Du hast wirklich ein besonderes Talent dafür, den Leuten grundlos das Leben schwerzumachen«, bemerkte Augusta. »Und jetzt hol deinen Hut. Ich bin längst ausgehfertig.« Eigentlich hatte Hugh keine Lust, mit Augusta auszufahren, doch erstens hatte der Onkel es ihm befohlen, und zweitens wollte er die Löwin sehen. Also fügte er sich.
Augustas Tochter Clementine gesellte sich zu ihnen. Auch sie hatte sich für die Ausfahrt herausgeputzt. Als Kinder hatten Hugh und seine Cousine des öfteren miteinander gespielt. Aber sie hatte sich als Petze erwiesen. Mit sieben hatte sie Hugh einmal gebeten, ihr sein Zipfelchen zu zeigen, nur um gleich danach zu ihrer Mutter zu laufen und ihr alles zu erzählen. Hugh hatte daraufhin Prügel bezogen. Inzwischen war Clementine zwanzig Jahre alt und sah ihrer Mutter sehr ähnlich. Allerdings fehlte ihr das herrische Wesen Augustas; sie ersetzte es durch Hinterhältigkeit. Sie traten vors Haus, und der Diener half ihnen in den Landauer. Die neue Kutsche war hellblau gestrichen und wurde von einem Paar prächtiger grauer Wallache gezogen - die angemessene Equipage für die Gattin eines bedeutenden Bankiers. Augusta und Clementine setzten sich mit dem Gesicht in Fahrtrichtung, Hugh nahm ihnen gegenüber Platz. Der strahlenden Sonne wegen war das Verdeck herabgelassen. Die Damen spannten ihre Sonnenschirme auf. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und das Gefährt setzte sich in Bewegung.
Kurze Zeit später erreichten sie den South Garriage Drive. Hunderte von Pferden mit Reitern im Zylinder und Frauen im Damensattel, Dutzende von Kutschen jeglicher Art - offene und geschlossene, zweirädrige und vierrädrige -, dazu Kinder auf Ponys, Pärchen zu Fuß, Kindermädchen mit Kinderwagen und Spaziergänger, die ihre Hunde
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