Die Pfeiler der Macht
Männer. Und dann schloß ich mich der Gewerkschaft an und organisierte einen Streik.«
»Warum bist du zurückgekommen?«
»In Amerika gab's einen Börsenkrach. Den Eisenbahngesellschaften ist das Geld ausgegangen, und die Banken, die sie finanzierten, machten Pleite. Tausende, nein, Hunderttausende von Arbeitern sind auf der Suche nach Arbeit. Deshalb habe ich beschlossen, zurückzukehren und noch einmal von vorne anzufangen.«
»Was willst du denn hier machen? Schienenwege bauen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe eine neue Idee. Zweimal hat eine Finanzkrise mein Leben ruiniert, weißt du. Die Männer, denen die Banken gehören, sind die dümmsten Kerle unter der Sonne. Sie lernen einfach nichts dazu und machen immer wieder die gleichen Fehler. Und wer darunter zu leiden hat, sind die Arbeiter. Kein Mensch hilft ihnen, und es wird ihnen auch nie jemand helfen. Sie müssen sich selbst helfen.«
»Kein Mensch hilft dem anderen«, warf April ein. »Jeder kämpft für sich allein in dieser Welt. Du bist einfach zur Selbstsucht gezwungen.«
Das behauptet sie dauernd, dachte Maisie. Dabei ist sie ein ausgesprochen großzügiger Mensch, der für seine Freunde alles täte ...
»Ich möchte eine Art Arbeiterverein gründen«, fuhr Danny fort.
»Die Arbeiter zahlen einen Sixpence die Woche als Beitrag. Wenn sie unverschuldet ihren Job verlieren, zahlt ihnen der Verein ein Pfund pro Woche, bis sie eine neue Stellung gefunden haben.« Maisie betrachtete ihren Bruder voller Bewunderung. Sein Vorhaben war ungeheuer ehrgeizig - aber das hatte sie schon damals gedacht, als der Vierzehnjährige zu ihr gesagt hatte: Im Hafen liegt ein Schiff, das mit der Morgenflut nach Boston ausläuft - wenn es dunkel ist, klettere ich über ein Tau an Bord und verstecke mich in einem der Boote.
Damals hatte er seinen Plan in die Tat umgesetzt, und er würde es wahrscheinlich auch diesmal tun. Außerdem hatte er, wie er sagte, einen Streik organisiert. Er war anscheinend zu einem Mann herangewachsen, auf dessen Worte andere Männer hörten.
»Doch wie geht es Papa und Mama?« fragte Danny. »Hast du Kontakt zu ihnen?«
Maisie schüttelte den Kopf und brach, zu ihrer eigenen Überraschung, in Tränen aus. Der Schmerz über den Verlust ihrer Familie überwältigte sie - ein Schmerz, den sie all die Jahre lang unterdrückt hatte.
Danny legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich werde in den Norden reisen und versuchen, sie aufzuspüren«, sagte er.
»Hoffentlich findest du sie«, sagte Maisie. »Sie fehlen mir so.« Sie merkte, daß April sie verwundert anstarrte. »Ich habe solche Angst, daß sie sich meinetwegen schämen könnten.«
»Warum sollten sie?« fragte Danny. »Ich bin schwanger.«
Sein Gesicht rötete sich. »Und nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Wirst du heiraten?«
»Nein.«
Danny war wütend. »Wer war das Schwein?« Maisie hob die Stimme: »Spiel jetzt bitte nicht den empörten Bruder, ja?«
»Ich würde dem Kerl liebend gerne den Hals umdrehen ...«
»Halt den Mund, Danny!« rief Maisie aufgebracht. »Du hast mich vor sieben Jahren im Stich gelassen und kannst jetzt nicht einfach so tun, als wäre ich dein Privateigentum.« Danny wirkte zerknirscht, und Maisie fuhr etwas gelassener fort: »Es spielt keine Rolle. Er hätte mich wahrscheinlich geheiratet, aber ich wollte das nicht. Also schlag ihn dir aus dem Kopf. Außerdem ist er jetzt sowieso in Amerika.«
Danny beruhigte sich. »Wenn ich nicht dein Bruder wäre, würde ich dich selber heiraten. Hübsch genug bist du ja. Aber wie dem auch sei - das bißchen Geld, das ich noch habe, gehört dir.«
»Ich will es nicht haben.« Maisie sah ein, daß ihre Ablehnung sehr unfreundlich klingen mußte, aber sie konnte nicht anders. »Du brauchst dich nicht um mich zu kümmern, Danny. Behalt das Geld für deinen Arbeiterverein. Ich komme schon allein zurecht. Ich hab' das damals mit elf geschafft, also werde ich es jetzt wohl auch schaffen.«
Micky Miranda und Papa saßen in einem kleinen Restaurant in Soho und labten sich an Austernragout - dem billigsten Gericht, das die Speisekarte auswies - und starkem Bier. Das Restaurant lag am Portland Place, nur ein paar Minuten entfernt von der Gesandtschaft Cordobas. Dort pflegte Micky nun allmorgendlich ein oder zwei Stunden am Schreibtisch zu verbringen und die Post des Gesandten zu bearbeiten. Heute hatte er seine Arbeit bereits erledigt und sich mit seinem Vater zum Mittagessen verabredet. Sie saßen sich auf
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