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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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mit Prägungen verzierten Guadamecí-Lederarbeiten wurden.
    Hernando betrat die Gerberei von Vicente Segura, und wie in den letzten drei Tagen legte er die Häute in einer Ecke des weitläufigen Innenhofs ab, der vom Guadalquivir bis zur Calle de Badanas reichte. Einer der Gesellen, ein stämmiger Kahlkopf, prüfte den Zustand der Lieferung, ohne Hernando auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Gesellen, Lehrlinge und einige Sklaven, die sauberes Wasser vom Fluss herbeischafften, arbeiteten ohne Unterlass. Sobald die Häute in die Gerberei kamen, wurden sie in Bottichen mit frischem Wasser eingeweicht. Anschließend legte man sie in eine Mischung aus Kalk und Wasser, um sie für das Enthaaren und Entfleischen vorzubereiten. Einige Häute lagen bereits auf Holzbrettern und warteten darauf, dass die Arbeiter sie mit Spezialmessern abschabten und von allem Fleisch, Blut oder sonstigem Schmutz befreiten. Danach wurden die gesäuberten Häute zum Entkälken in Bottiche mit frischem Wasser gelegt. Hernando konnte sehen, wie die Lehrlinge die Häute wieder herausholten und sie an Stöcken befestigten, wo sie zum Trocknen an der Luft hingen, bevor sie erneut in die Bottiche kamen. Der ganze Vorgang konnte je nach Jahreszeit zwei bis drei Monate in Anspruch nehmen. Erst wenn der Meister eine Haut für ausreichend bearbeitet befand, erfolgte das eigentliche Gerben in den Lohgruben, die mit Steinen oder Ziegeln zugedeckt waren. Die Häute wurden in die Gerberlohe gelegt, ein Gemisch aus Wasser und gemahlener Eichenrinde. Der Meister beobachtete den Gerbvorgang in den Gruben sehr genau und kontrollierte regelmäßig die Arbeit der Gesellen. Hernando blickte zu einem der Gesellen, der gerade von der Hüfte an nackt in einer der Gruben steckte und die Ziegenhäute bearbeitete, aus denen einmal schwarzes Korduanleder werden sollte. Meistens beanspruchte allein dieser Vorgang, bei dem die Gesellen die Ziegenhäute unaufhörlich traten, wendeten und eintauchten, acht Stunden.
    »Was glotzt du so? Hast du nichts zu tun?« Hernando fuhr überrascht herum. Der kahlköpfige Geselle gab ihm eine Haut in einem besonders schlechten Zustand. »Die hier ist für dich«, wies er ihn an. »Und trödle nicht rum!«
    Hernando sah zum hintersten Winkel des Innenhofs. Etwas abgelegen befand sich dort eine tiefe Mistgrube im Boden, aus der an diesem kalten Novembertag eine Säule warmer, stinkender Luft aufstieg. Wenn er sich da hineinbegab, folgte die Luftsäule seinen Bewegungen und umfing ihn mit Wärme und Gestank. Der Meister hatte entschieden, dass mangelhafte Häute – wie die, die ihm der Geselle gerade gegeben hatte – nicht in den Kälkbottich, sondern in die Mistgrube kamen. Dieses Verfahren dauerte nicht die üblichen zwei Monate, außerdem war es sehr viel preiswerter. Diese Häute wurden später für Schuhsohlen verwendet.
    Hernando ging an den trocknenden Häuten und den Fässern, Bottichen und langen Brettern vorbei und trottete weiter in Richtung Mistgrube. Einige der jungen Lehrlinge sahen sich erleichtert an: Es gab keine unangenehmere Aufgabe in der Gerberei, aber seit der Moriske hier arbeitete, musste keiner von ihnen mehr in die Mistgrube. Vicente, der neben der Lohgrube stand, in der das Ziegenleder getreten wurde, schalt sie für ihr Verhalten, und sofort verschwand das Lächeln von den Gesichtern, und sie machten sich wieder an ihre Arbeit. Hernando stand mittlerweile vor der stinkenden Grube.
    An seinem ersten Arbeitstag wäre er beinahe ohnmächtig geworden. Er hatte nach Luft gerungen, als der beißende Gestank in seine Lungen gedrungen war. Fast hätte er sich übergeben, aber der Geselle, dem er an dem Tag zuarbeitete, warnte ihn, bloß nicht auf die Häute zu kotzen. Also hatte er den Mund geschlossen und den Brechreiz unterdrückt.
    Hernando starrte auf den Mist. Er zog Schuhe und Kleider aus und ließ sich in die Grube gleiten. Er dachte an die Sierra Nevada mit ihrer frischen Luft und den tiefen Schluchten, durch die klare Bäche das reine Quellwasser aus den verschneiten Gipfeln mit sich führten. Er hielt den Atem an. Inzwischen hatte er gelernt, dass er nur so diese Aufgabe ertrug.
    Hernando wühlte im Mist, bis er die erste Haut in der Hand hielt. Er schüttelte sie und schaffte es tatsächlich, sie aus der Grube zu holen, ehe ihm die Luft wegblieb. Dann watete er an den Rand und schnappte nach Luft. Die erste Haut bekam er noch einfach heraus, aber je tiefer er in die dreckige Grube greifen musste, desto

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