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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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Gemeinschaft der Morisken in Córdoba. Tagelang gab es für sie kein anderes Gesprächsthema, und einige versuchten herauszufinden, wer unter ihnen der Verräter war. Viele wussten von Karims Aktivitäten: die Wachen, die um das Haus postiert wurden, wenn der Rat zusammentrat, die Gläubigen, die bei ihm den Koran, Mondkalender und Abschriften der Weissagungen sowie anderer Texte kauften, die Morisken, die ihre Arbeit auf den Feldern vor der Stadt dazu nutzten, die Bücher aus Córdoba herauszuschaffen, damit sie in den übrigen Moriskengemeinden des Königreichs verbreitet werden konnten. Schnell machte sich Misstrauen unter den Morisken breit, und viele mussten ihre Unschuld gegen argwöhnische Blicke oder direkte Beschuldigungen verteidigen. Um unter den Gläubigen nicht noch mehr Unruhe zu stiften, entschied der Rat der Gemeinde, nicht bekanntzugeben, dass der Verräter tatsächlich ein Moriske gewesen war. Aber der Rat kam bei seinen Ermittlungen nicht voran: Karim saß unerreichbar im Gefängnis der Inquisition, und seine alte, durch die Geschehnisse tief erschütterte Frau wusste von nichts. Das hatte sie Abbas unter Tränen gesagt, als der Schmied sie besuchte, nachdem die Gehilfen der Inquisition das wenige Hab und Gut von Karim beschlagnahmt hatten.
    Verrat war das schändlichste und größte Verbrechen, das ein Moriske begehen konnte. Seit der Regierungszeit Kaiser Karls V. hatte die spanische Inquisition immer wieder Gnadenerlasse verfasst. Sowohl dem Monarchen als auch den Kirchenfürsten waren die Schwierigkeiten bewusst, die die Zwangsbekehrung mit sich brachte – noch dazu eines ganzen Volkes. Der Mangel an Geistlichen, die nicht nur geeignet, sondern auch bereit dazu waren, diese Aufgabe zu übernehmen, war offensichtlich. Die Kirche wusste auch, dass die Anzahl der Rückfälligen, die zwangsläufig auf dem Scheiterhaufen landeten, inzwischen so hoch war, dass diese Strafe ihre abschreckende Wirkung auf die Morisken verlor. Deshalb wollten sie vor allem jene Morisken für sich gewinnen, die ihre Sünden bekannten und sich mit der Kirche aussöhnten, selbst wenn sie dies nur heimlich taten – ohne das Wissen ihrer Glaubensbrüder. Diese Gnade würde laut Erlass sogar mehrfach Rückfälligen zuteil, unterlag dann aber einer Bedingung: Sie mussten ihre Glaubensbrüder verraten, die ketzerisch tätig waren. Doch keiner der Gnadenerlasse hatte bisher gefruchtet: Die Morisken verrieten einander nicht.
    Hernandos Vermutungen waren richtig, Fatima und Hamid hatten weder den Koran noch die übrigen Schriftstücke dem Feuer übergeben: Sie hatten sie einfach im Patio vergraben.
    »Dummköpfe!«, schimpfte er, als er ihnen endlich die Wahrheit entlocken konnte. »Die Inquisition hätte sie dort sofort gefunden.«
    Nach einer schlaflosen Nacht, in der er immer wieder glaubte, die Schritte der Inquisitionsknechte vor seinem Haus zu hören, verbrannte er noch vor dem Morgengrauen alle verbotenen Schriften außer dem Koran. Das edle Buch versteckte er in seiner zusammengefalteten Marlota, die er über seinem rechten Arm trug, und nahm es mit zur Kathedrale, wo er sich, wie von Don Julián vorgeschlagen, noch vor dem ersten Gebet einfand.
    Er ging die Calle de los Barberos und die Calle de Deanes entlang, bis er an der Puerta del Perdón vor der Mezquita stand. Es war kalt, aber er hielt den in der Marlota versteckten Koran fest an den Körper gepresst. Er zitterte. Vor Kälte? Erst als er durch den großen Torbogen trat, begriff er, dass nicht die Kälte seinen Körper zum Beben brachte. Was tat er da eigentlich? Er hatte nicht einmal darüber nachgedacht: So als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, hatte er nach dem Buch gegriffen, um es Don Julián zu geben. Inmitten all der Geistlichen, die über den Innenhof zum frühmorgendlichen Gebet strebten, hielt er einen Koran unter dem Arm. Außer dem Bischof, der die Kathedrale stets über die alte Brücke betrat, die die Mezquita mit seinem Palast verband, strömten alle anderen durch die Puerta del Perdón in den Innenhof: die Domherren in ihren prächtigen Gewändern und mehr als hundert Kanoniker und Kapläne, dazu die Organisten und die übrigen Musiker, die Chorknaben, die Sakristane, die Wächter … Hernando sah sich auf einmal von Geistlichen und den anderen Mitarbeitern der Kathedrale umringt. Einige plauderten, die meisten gingen wortlos vorbei, sie wirkten unausgeschlafen und mürrisch. Hernando stockte der Atem. Er befand sich in einem der

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