Die Pfeiler des Glaubens
bedeutendsten christlichen Gotteshäuser ganz Andalusiens und hielt einen Koran in seinen Händen! Er blieb stehen, und die drei Chorknaben hinter ihm mussten ausweichen. Er drückte die Marlota, die das verbotene Buch verbarg, noch fester an seinen Körper und versuchte gelassen zu wirken. Bedeckte die Marlota das Buch auch vollständig? Er sah, wie einige Männer in schwarzen Gewändern und mit Biretten auf dem Kopf vor ihm stehen blieben. Nein, er musste umkehren, sofort, er würde den Koran schon irgendwoanders …
»He, du!« Hernando hörte den Ruf hinter sich, vertraute aber darauf, nicht gemeint zu sein. »Ja, du! Halt!« Eiskalter Schweiß lief ihm über den Rücken. Die Puerta del Perdón war doch nur noch wenige … »Halt, stehen bleiben!«
Zwei Pförtner versperrten Hernando den Weg.
»Hast du nicht gehört, dass dich der Inquisitor ruft?« Hernando stammelte eine Entschuldigung und blickte durch das Tor hindurch auf die Straße. Er könnte loslaufen und flüchten. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Fliehen? Bestimmt hatten sie ihn erkannt, und noch ehe er bei Fatima und den Kinder angekommen … »Ja, bist du taub? Hinter dir!«, rief einer der Pförtner.
Hernando drehte sich um. Ein hagerer, hochgewachsener Mann stand da und wartete auf ihn. Hernando wusste, dass im Domkapitel immer ein Sitz für einen Vertreter der Inquisition reserviert war. Er zögerte. Er hörte den Atem der Pförtner im Rücken, aber der Inquisitor war allein.
Hernando atmete tief durch und ging mit gesenktem Blick auf den Mann zu.
»Vater«, sagte er zum Gruß. »Verzeiht mir, niemals durfte ich davon ausgehen, dass Euer Hochwürden mit meiner Wenigkeit sprechen möchte, einem einfachen …«
Der Inquisitor unterbrach ihn mit einer Handbewegung und hielt ihm seine schlaffen, dürren Finger entgegen, damit er den angemesse nen Kniefall vollzog. Ohne zu zögern, griff Hernando nach der Hand des Geistlichen und fing mit der linken Hand gerade noch rechtzeitig die Marlota samt Koran auf. Er presste beides an seine Brust, während er den eingeforderten Kniefall vollzog und gleichzeitig überprüfte, ob auch ja nichts vom Buch zu sehen war. Der Inquisitor forderte ihn auf, sich wieder zu erheben, und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Hernando presste den Koran immer noch mit der linken Hand an seine Brust – die göttliche Offenbarung! Natürlich! Hier beim Mihrab der Mezquita musste dieses Buch aufbewahrt werden, als Rettung gegen all die christlichen Geistlichen, die sich mit ihren Gesängen und Bildern des Bauwerks bemächtigten! Hitze wallte in seinem Herzen auf, direkt neben dem Buch, und ergriff seinen ganzen Körper. Er richtete sich wieder auf und fühlte sich stark: Er vertraute in Gott und sein Wort.
»Gestern«, sagte der Inquisitor mit schneidend kalter Stimme, »haben wir einen Ketzer verhaftet, der Abschriften von Texten anfertigte, die die Doktrin unserer Heiligen Mutter Kirche diffamieren. Er band sie zu Büchern und verkaufte sie. Für sein sofortiges Geständnis darf er nicht auf Gnade hoffen. Wegen der Schwere des Verbrechens und wegen der gebotenen Eile, um seine Komplizen noch vor ihrer Flucht festzunehmen, werden wir gleich heute mit den Verhören beginnen. Die Bücher, die wir bei ihm konfisziert haben, sind in einem Arabisch verfasst, das unserem Übersetzer nicht geläufig ist. Das Domkapitel hält viel von deinem Können. Deshalb findest du dich heute um neun Uhr beim Tribunal ein und übersetzt alle Schriftstücke.«
Hernandos eben entfachter Mut war wie weggeblasen. Seine Entschlossenheit war in dem Moment dahin, als er an Karim dachte und daran, wie er beim Verhör und vielleicht sogar bei seiner Folter … die Texte übersetzen musste, die er selbst verfasst hatte!
»Ich …«, setzte er zu einer Ausrede an. »Ich … ich muss im königlichen Marstall arbeiten.«
»Der Verfolgung der Ketzerei und der Verteidigung der Christen heit ist jedwede andere Tätigkeit unterzuordnen!«, antwortete der Inquisitor in scharfem Tonfall.
Der Geistliche drehte sich um und ging fast lautlos durch das kleine Tor in Richtung Kathedrale.
»Um neun Uhr«, waren seine letzten Worte.
Hernando eilte sofort nach Hause, sein Kopf war leer, und er wollte auch nicht nachdenken, er flüsterte nur einige Suren vor sich hin und drückte den Koran an die Brust.
Der Alcázar, der Sitz des Inquisitionsgerichts, war die von König Alfonso XI. in den Anlagen des ehemaligen Kalifenpalastes errichtete Festung von
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