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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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Córdoba. Da die Gelder, die das Tribunal für den Unterhalt des Gebäudes erhielt, zum größten Teil in die Taschen der Inquisitoren floss, war das einst so stolze Anwesen inzwischen fast vollkommen heruntergewirtschaftet. An die ehemals kostbar ausgestatteten Prunksäle, Schreibstuben und Archive schlossen sich jetzt schmutzige Taubenschläge, Hühnerleitern und Ställe an. Es gab sogar eine Wäscherei, und die Bediensteten handelten ohne jegliche Scham mit Eiern, Tieren und gereinigten Stoffen. Wegen der unhygienischen Zustände im Alcázar, der modrigen Gefängniszellen und der beiden Teiche mit ihrem fauligen Wasser hieß es bei den Bewohnern Córdobas bald, dass jeder, der in die Festung kam, sofort krank würde und innerhalb kürzester Zeit starb.
    Hernando fand sich zur vereinbarten Zeit am massiven Torre del León – dem Löwentor – ein.
    »Du musst den Eingang auf der anderen Seite nehmen«, rief ihm einer der übel gelaunten Stoffverkäufer zu. »Geh über den Friedhof zur Puerta del Palo, drüben beim Wachturm am Fluss.«
    Durch die Puerta del Palo gelangte Hernando in einen mit Pappeln und Orangenbäumen bepflanzten Patio. Die beiden Pförtner behandelten ihn, als wäre er der Angeklagte, und fragten ihn so lange aus, bis einer von ihnen genug hatte und auf eine kleine Tür in der Mauer wies. Kaum hatte er den sonnigen Patio verlassen, spürte Hernando, wie sein Körper von einer ungesunden Feuchtigkeit umhüllt wurde. Er ging den klammen, düsteren Gang zum Gerichtssaal entlang. Auf der linken Seite lagen in unregelmäßigen Abständen die Zellen. Er wusste, dass hier die Gefangenen einsaßen, doch zu seiner Verwunderung herrschte eine bedrückende Stille, und das einzige Geräusch, das er ausmachen konnte, war das seiner eigenen Schritte.
    Er betrat den Gerichtssaal, in dem bereits die Inquisitoren an Tischen saßen – darunter auch der hagere Mann, der Hernando in der Kathedrale angesprochen hatte, der Ankläger sowie der Notar. Hernando musste einen Eid ablegen und versprechen, dass er über alle Vorgänge in der Sala del Secreto – im Saal der Geheimnisse – Stillschweigen bewahren würde. Dann nahm er neben dem Notar an einem Tisch Platz, der etwas niedriger war als die anderen. Vor ihm lagen drei unsauber verarbeitete Koranexemplare sowie einige lose Schriftstücke, die Karim noch nicht zu Büchern gebunden hatte. Während die Inquisitoren mit der Verhandlung begannen, starrte Hernando vor sich auf den Tisch: Er erkannte jedes einzelne Exemplar des göttlichen Buches wieder. Ein Blick genügte, und er konnte sich genau daran erinnern, wann er es angefertigt hatte. Ihm fielen all die Schwierigkeiten ein, die bei jedem der Exemplare aufgetreten waren: seine Schreibfehler, das Kürzen des Schrei brohrs, die Tinte, die ihnen plötzlich ausgegangen war. Er erinnerte sich auch an Don Juliáns Bemerkungen und Kommentare und an ihre Ängste, wenn plötzlich ungewohnte Geräusche zu ihnen drangen, und an ihre Scherze, wenn sich die Situation als ungefährlich erwiesen hatte. Vor allem aber dachte er an die Sehnsüchte und Hoffnungen eines ganzen Volkes, die in jedem einzelnen Buchstaben steckten, verewigt auf diesem minderwertigen Papier, das trotz so vieler Hindernisse und Gefahren aus Xátiva zu ihnen gelangt war.
    Hernando zuckte zusammen, als Karim in den Gerichtssaal geführt wurde. Er wirkte schwach, und seine Kleider waren nur mehr Lumpen. Was ging dem alten Mann wohl gerade durch den Kopf? Hielt er ihn für den Verräter? Hernando hielt den Atem an. Doch ein einziger, kurzer Blickkontakt mit Karim reichte aus, und Hernando wusste, dass der alte Mann es besser wusste.
    »Ich vergebe dir!«, rief Karim, sobald er in der Mitte des Saales angelangt war. Er sprach niemanden direkt an und unterbrach mit seinem Ausruf die Verlesung der Anklageschrift.
    Die Inquisitoren waren verwirrt.
    »Du hast hier nichts zu vergeben, Ketzer!«, herrschte ihn einer der Inquisitoren an.
    Hernando nahm die Beschimpfungen und Flüche der anderen Männer nicht mehr wahr. Diese Worte galten ihm. Ich vergebe dir! Karim hatte dabei niemanden angesehen und doch nur einem vergeben. Ich vergebe dir! Noch an diesem Morgen hatte er sich mit dem Koran an seiner Brust so gefestigt gefühlt, und dann so verzweifelt, als er erfuhr, dass er bei Karims Prozess anwesend sein musste. Fatima, Aischa und ein niedergeschlagener Hamid hatten ihn zu Hause mit Fragen bestürmt, von denen er keine einzige beantworten konnte. Er hatte den

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