Die Pfeiler des Glaubens
der Alte neben ihm im Schnee mit dem Tod rang. »Alle! Sofort!«, befahl Partal.
Die meisten Frauen senkten den Blick, andere hielten ihren Töchtern die Augen zu. Die anwesenden Morisken lachten und tobten.
Ubaid hatte sich das Schauspiel nicht entgehen lassen und begab sich nun sichtlich erheitert zu den Tieren. Hernando folgte ihm, sie mussten schließlich ihren Aufbruch vorbereiten.
»Die armen Tiere sind ganz schön bepackt!«, sagte der Maultiertreiber aus Narila bedeutungsvoll. »Und niemand weiß genau, was sie tragen. Ein Glück für uns arme Treiber: Sollte zufälligerweise irgendwas verloren gehen, würde es niemand bemerken.«
Hernando drehte sich abrupt um. Was meinte Ubaid damit? Aber der war schon wieder in seine Arbeit mit dem Gepäck vertieft, so als wären seine Worte völlig belanglos. Hernando hörte sich, ohne darüber nachzudenken, mit entschiedener Stimme sagen:
»Hier geht nichts verloren! Verstanden? Das ist die Kriegsbeute unseres Volkes!«
Keiner der beiden sagte noch etwas.
Schließlich verließen sie Alcútar: Ibrahim führte mit Partal und seinen Monfíes den Zug an. Hinter ihnen gingen die Christen, mehr als vierzig nackte Männer mit auf dem Rücken gefesselten Händen, barfuß und starr vor Kälte. Hinter den Männern kamen die Frauen und Kinder. Die etwa zwanzig mit der Beute geladenen Lasttiere bildeten unter Hernandos und Ubaids Aufsicht die Nachhut. Über den ganzen Zug verteilt, marschierten die neu angeworbenen Morisken, die sich dem Aufstand angeschlossen hatten. Sie beschimpften die Christen und drohten ihnen tausend schreckliche Folterqualen an, wenn sie nicht von ihrem Glauben abfielen und sich bekehren ließen.
Das Dorf Cuxurio de Bérchules lag zwar nur etwa eine Meile von Alcútar entfernt, aber der felsige Bergpfad machte den nackten Füßen der Christen schwer zu schaffen, und Hernando konnte auf den Steinen bald Blutflecken erkennen. Plötzlich fiel jemand zu Boden: Den dünnen Beinen und der fehlenden Körperbehaarung nach zu urteilen, war es ein Junge. Die Männer waren gefesselt, also konnte ihm keiner helfen. Die Frauen versuchten es zwar, aber einige Morisken hinderten sie daran und traten nach dem Jungen. Da sah Hernando, wie sich das Mädchen mit dem hellblonden Haar schützend über den Jungen warf.
»Lasst ihn! Bitte!«, schluchzte sie.
»Ha! Bitte doch deinen Gott um Hilfe!«, höhnte ein Moriske.
»Gebt euren Glauben auf!«, forderte ein anderer.
Der gestürzte Junge, das Mädchen und die vier Morisken sorgten dafür, dass das Leittier der Maultierkarawane stehen blieb.
»Was ist hier los?« Hernando konnte Ubaids Stimme dicht hinter sich hören. »Bringt sie um, wenn sie nicht weitergehen!«
Hernando konnte zwischen den Beinen der Männer den kauernden Jungen erkennen, und auch sein angespanntes Gesicht und die zugekniffenen Augen. Ohne nachzudenken sagte er:
»Wenn ihr sie umbringt, könnt ihr sie nicht … Dann können wir sie nicht zum wahren Glauben bekehren.«
Die vier Männer drehten sich auf der Stelle um. Sie waren alle um einiges älter als Hernando.
»Hast du hier was zu sagen?«
»Was gibt euch das Recht, sie umzubringen?«, fragte Hernando zurück.
»Kümmere du dich lieber um deine Tiere, Kleiner, sonst …«
Hernando spuckte auf den Boden. »Warum fragt ihr den denn nicht, was ihr machen sollt?«, schlug er vor und zeigte auf den breitschultrigen Partal. »Wenn er es gewollt hätte, hätte er sie doch gleich in Alcútar umgebracht, oder?«
Die vier jungen Männer tauschten kurze Blicke aus und schlossen sich dann wieder dem Zug an, nicht ohne vorher dem am Boden kauernden Jungen noch ein paar Fußtritte zu versetzen. Hernando zog den Jungen mithilfe des hellblonden Mädchens an den Wegrand und trieb die Tiere weiter. Er wartete auf die Alte. Hernando und das Mädchen legten die Arme des Jungen über ihre Schultern und hoben ihn an. Nun hing er erschöpft zwischen den beiden und schnappte nach Luft. Ubaid beobachtete Hernando, ohne ein Wort zu verlieren. Schließlich gelang es Hernando und dem Mädchen, den kleinen Jungen auf die Alte zu hieven.
»Warum machst du das?«, fragte Hernando. »Sie hätten dich umbringen können.«
»Er ist mein Bruder«, antwortete das Mädchen mit tränenüberströmtem Gesicht. »Er ist mein einziger Bruder. Er ist ein guter Mensch«, sagte sie noch, als bäte sie um Gnade.
»Ich heiße Isabel«, sagte das Mädchen später, als sie neben der Alten herging und dabei ihren Bruder – er hieß
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