Die Pfeiler des Glaubens
unbeschreibliches Freiheitsgefühl, das lediglich durch den Anblick der baufälligen oder verriegelten Häuser getrübt wurde.
Trotz des allgegenwärtigen Verfalls erinnerte sich Hernando mit Freude an jeden Baum, jedes Tier, jeden Bachlauf und an jeden Felsbrocken. Er ließ seinen Blick unaufhörlich über die ihm so vertraute Landschaft schweifen, während Don Sancho und die Diener nur jammerten und ihre Verachtung für die Armut der Gegend und ihre Bewohner kundtaten.
Seit der Herzog mit Hernando über dessen Mission gesprochen hatte, waren zwei Monate vergangen.
Bei seiner letzten Abreise hatte er Fatima einfach das Haus überlassen und Abbas gebeten, sich um seine Familie zu kümmern. Diesmal hatte Hernando mit Juan Marco gesprochen, dem hochmütigen Webermeister, für den Aischa arbeitete. Dieser Weber, der in seiner Werkstatt kostbaren Samt, Satin und Damast fertigen ließ, war ein selbstgefälliger Mann, der sich für etwas Besseres hielt als die übrigen Meister seiner Zunft.
»Gib ihr mehr Lohn«, forderte Hernando ihn an jenem Abend auf, nachdem seine Mutter die Werkstatt längst verlassen hatte. Seit ihrem Streit nahm Aischa keine Hilfe ihres Sohnes mehr an.
»Warum sollte ich das tun?«, knurrte der Meister. »Die Gesellen sagen, dass man ihr nur Hilfsarbeiten geben kann.«
»Ich bitte dich darum. Außerdem soll es dich nichts kosten«, sagte Hernando und legte dem Meister drei Goldstücke in die Hand.
»Du hast leicht reden! Wenn ich der einen mehr Geld gebe, fallen alle anderen gleich wie die Wölfinnen über mich her.«
Hernando seufzte.
»Außer ihr wird niemand davon erfahren. Wenn du mir diesen Gefallen erweist, werde ich mich beim Herzog persönlich dafür einsetzen, dass man sich für deine Stoffe interessiert«, sagte Hernando und blickte dem Mann tief in die Augen.
Diesem Handel konnte der Weber nicht widerstehen.
»Einverstanden, aber … warum?«
»Das geht dich nichts an«, fuhr ihn Hernando an. »Sorge einfach dafür, dass du dich an deinen Teil der Abmachung hältst.«
Mit diesen Worten verließ er schnellen Schrittes die Werkstatt. Vor seiner Abreise musste er noch sein zweites wichtiges Problem lösen.
Kurz nach der Dämmerung klopfte er bei Arbasia an die Haustür. Das Dienstmädchen öffnete ihm und ließ ihn im Vorraum warten.
»Warum kommst du zu mir, Hernando? Es ist spät«, fragte Cesare Arbasia.
»Entschuldige, Meister, aber ich muss abreisen, und ich fürchte, ich kann nur noch einem einzigen Menschen in ganz Córdoba vertrauen.«
Hernando hielt dem Italiener eine Lederrolle hin, in der die Blätter des Barnabas-Evangeliums versteckt waren. Arbasia erriet den Inhalt und machte keinerlei Anstalten, sie an sich zu nehmen.
»Du bringst mich in Gefahr«, stellte der Künstler fest. »Was, wenn die Inquisition das Evangelium bei mir findet?«
»Du arbeitest im Auftrag des Bischofs und des Domkapitels. Niemand wird dich belästigen.«
»Warum versteckst du es nicht einfach dort, wo du es gefunden hast? Es war all die Jahre …«
»Darum geht es nicht. Gewiss, es gibt viele Verstecke. Aber ich möchte, dass das Evangelium nicht wieder verloren geht – für den Fall, dass mir etwas zustößt. Ich bin mir sicher, dass du weißt, was zu tun ist, wenn es so weit kommen sollte.«
»Was ist mit deinen Glaubensbrüdern?«
»Ich traue ihnen nicht. Nicht mehr«, musste Hernando zugeben.
»Sie trauen dir offenbar auch nicht mehr. Ich habe gehört …«
»Ich weiß einfach nicht mehr, was ich machen soll, Cesare. Ich habe beim Kampf für unsere Gesetze und unsere Religion mein Leben riskiert. Jemand hat mir einmal gesagt, ich solle christlicher sein als jeder Christ, und heute verachtet mich dieser Mann – weil ich seinen Rat befolge. Die gesamte Gemeinde verachtet mich! Sie halten mich für einen Verräter, selbst meine Mutter hält mich für einen Verräter!« Hernando musste tief Luft holen, ehe er weitersprechen konnte. »Aber das ist nicht alles. Ich fürchte, inzwischen sehen meine Glaubensbrüder nur noch einen Weg aus unserer Unterdrückung: Gewalt.«
Da seufzte der Italiener und griff nach dem Evangelium.
»Du darfst von deinen Glaubensbrüdern keinen Dank erwarten«, riet ihm Cesare Arbasia. »Das wäre reiner Hochmut. Du musst deine Anerkennung bei Gott suchen. Kämpfe weiter für deine Überzeugungen, und denke immer daran: Der einzig richtige Weg führt über das Wort und die Erkenntnis, niemals über Gewalt.« Arbasia schwieg eine Weile, ehe er sich von
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