Die Pfeiler des Glaubens
Nasis Nacken glitt. Sie erwartete, das Flehen des nun ehemaligen Stellvertreters zu hören, aber Shamir gab ihm dazu keine Gelegenheit. Fatima drehte sich genau in dem Moment um, in dem der Körper des enthaupteten Nasi zu Boden sackte.
»Er war kein guter Mensch«, sagte Shamir bloß.
»Einverstanden«, stellte Fatima fest. »Aber das ändert nichts. Tut, was ich euch aufgetragen habe.«
Im Morgengrauen versteckten sich Shamir und Abdul mit allem Gold, Schmuck und Dokumenten aus Ibrahims Schatzkammer im Hafen. Fatima hatte zwei Sklaven angewiesen, die Leichname zu waschen und das Speisezimmer zu reinigen. Noch in derselben Nacht suchte sie Ibrahims zweite Frau auf, die abgeschieden in einem anderen Flügel des Palastes lebte. Sie berichtete ihr ohne weitere Einzelheiten vom Tod ihres Gatten und stellte eindeutig klar, dass von nun an Shamir die Geschicke der Familie lenkte. Die Frau senkte den Blick und sagte nichts. Sie wusste, dass sie von der Gunst des jungen Mannes abhängig war, der Fatima wie seine eigene Mutter liebte.
Am nächsten Morgen begab sich Fatima zum Sitz des Gouverneurs Muhammad al-Naqsis. Im 16. Jahrhundert hatte Tetuan zu Fez gehört, das später von Marokko erobert wurde. Nach einer gewissen Zeit der Unabhängigkeit wurde die Stadt wieder eingenommen, aber die Hauptmacht war schwach, und selbst bis in Ibrahims Palast waren die Gerüchte gedrungen, dass die Familie al-Naqsis die Unabhängigkeit der Stadt anstrebte. Ibrahim missfiel die Vorstellung, dass seine Konkurrenten die Kontrolle über die Stadt erlangen könnten. Nun wurde Fatima, obwohl sie eine Frau war, vom Gouverneur persönlich empfangen. Es hatte wegen der Aufteilung von Beuteschätzen immer wieder Streit zwischen der Familie al-Naqsis und Ibrahim gegeben, insofern war der Besuch der Gattin seines Widersachers für Muhammad al-Naqsis ein besonderes Ereignis, das seine Neugierde weckte.
»Was ist mit Ibrahim?«, erkundigte sich der Gouverneur, nachdem Fatima ihm in Shamirs Namen Treue geschworen hatte.
»Er ist tot.«
Der Gouverneur musterte Fatima von Kopf bis Fuß und verbarg seine Bewunderung nicht. Vor ihm stand die schönste und jetzt auch reichste Frau von ganz Tetuan.
»Was ist mit seinem Stellvertreter?«, wollte er wissen und gab vor, sich mit der knappen Auskunft zufriedenzugeben.
»Er ist ebenfalls tot«, antwortete Fatima, ohne den Blick vom Boden zu heben, wie es sich für eine unterwürfige Muslimin geziemte.
Die beiden Männer waren also tot. Sollte das alles sein? Hatte diese beeindruckende Frau etwas mit den Todesfällen zu tun?
Mit seinem Blick drückte der Mann Fatima gegenüber aber lediglich seine Hochachtung aus. Der Gouverneur zog es vor, keine weiteren Fragen zu stellen, sondern nur die Hilfe anzunehmen, die ihm die großzügige Witwe offensichtlich anbot, damit er die Unabhängigkeit der Stadt erreichte.
Am nächsten Tag hörte sich Fatima von den Klageweibern, die alle einfache Kleidung trugen und sich die Gesichter mit Ruß geschwärzt hatten, die Sprüche und Trauergesänge zu Ehren der Toten an. Nach jedem Lied, nach jedem Satz schrien die Frauen, sie schlugen sich auf die Brust und die Wangen, bis sie bluteten, und rauften sich die Haare. Die rituelle Totenklage dauerte sieben Tage.
Der alte Jude sah auf, sein Blick kreuzte sich mit dem Fatimas. Beide wussten, dass das Geständnis, das sie gerade abgelegt hatte, niemals wiederholt werden würde. Der Kaufmann hatte das Gebot » Sehen, hören und schweigen « bereits vor Jahren verinnerlicht.
»Bitte«, flüsterte der Jude nur und deutete auf das immer noch leere Blatt vor sich.
Fatima seufzte. Ja … Nun war sie so weit. Mit fester Stimme diktierte sie jetzt dem Kaufmann ihren Brief an Hernando.
»Geliebter Mann. Der Frieden und die Güte des Barmherzigen, der mit Wahrheit urteilt, seien mit dir …«
54
Gott der Allmächtige blies, und die Armada flog nach
allen Winden
Münzinschrift von Elisabeth I. von England
N ach einem zweimonatigen Aufenthalt im Hafen von La Coruña und trotz mannigfacher Friedensgespräche und Verhandlungen brach die große spanische Armada schließlich zur Eroberung von England auf. Wegen des überraschenden Todes des Marquis von Santa Cruz hatte der Herzog von Medina Sidonia kurzfristig den Oberbefehl über die Armada übernommen.
Don Alfonso de Córdoba und sein Erstgeborener stachen in Begleitung von zwanzig Dienern, darunter auch der Kammerherr José Caro, auf einem der Schiffe in See.
Doch die
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