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Die Pfeiler des Glaubens

Die Pfeiler des Glaubens

Titel: Die Pfeiler des Glaubens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildefonso Falcones
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tritt er dich aus Versehen.«
    Doch er sprach nicht weiter. Der Junge machte ein trauriges Gesicht und versuchte sich aufzurichten. Er griff an eines der Pferdebeine, als wollte er daran hochklettern. Hernando sah, dass die Beine des Jungen verkrüppelt waren. Er beugte sich vor, um ihn aufzuheben.
    »Mein Gott! Was ist denn mit dir passiert?«
    Der Junge stand endlich aufrecht vor ihm, hielt sich aber immer noch an Hernandos Arm fest.
    »Das Stehen fällt mir schwer.« Beim Lächeln ließ der Junge seine abgebrochenen Zähne und einige Zahnlücken erkennen. »Wenn Ihr mir die Stöcke dort reicht, dann könnte ich …«
    »Aber was ist mit deinen Beinen?«, fragte Hernando.
    Der Junge machte einen ungeschickten Schritt auf Hernando zu.
    »Mein Vater hat sie dem Teufel verkauft«, flüsterte er.
    »Was soll das heißen?«
    »Bei meinem großen Bruder waren die Arme und die Hände verkr üppelt. Bei mir die Beine. José hat mir erzählt, dass mein Vater mir kurz nach der Geburt meine Beine gebrochen hat und ich viel weinen musste. Danach wusste keiner, ob ich überlebe. Wir Geschwister sind alle Krüppel. Ich kann mich noch daran erinnern, wie meine Eltern meiner kleinen Schwester mit einer glühenden Eisenstange in die Augen gefahren sind, damit sie blind wird. Zwei Monate nach ihrer Geburt. Sie musste auch viel weinen«, erinnerte sich der Junge. »Bei einem Krüppel sind die Leute großzügiger.« Hernando bekam eine Gänsehaut. »Aber der König hat verboten, dass die Erwachsenen mit Kindern betteln, die älter als fünf Jahre alt sind. Die Jurados und die Pfarrer nehmen einem sonst die Bettelerlaubnis weg. Meine Eltern haben mich noch ein bisschen länger mitgenommen, weil ich so klein war, aber als ich sieben war, haben sie mich allein gelassen.«
    Hernando brachte keinen Laut hervor. Seine Kehle war trocken. Er hatte durchaus von diesem brutalen Vorgehen der Bettler gehört, aber noch nie hatte er eines dieser Unglückskinder kennengelernt. Der Junge klang so traurig … Hernando hätte ihn am liebsten umarmt. Seit wann hatte er kein Kind mehr umarmt? Hernando räusperte sich.
    »Bist du dir sicher, dass Volador dich nicht treten wird?«, fragte er nur.
    Beim Lächeln kamen wieder die abgebrochenen Zähne zum Vorschein.
    »Bestimmt. Fragt ihn doch selbst.«
    Hernando kniete neben dem Pferd nieder und strich Volador über den Kopf. Dann half er dem Kind, eine bequeme Schlafstellung zu finden.
    »Wie heißt du?«, fragte er, als der Junge sich wieder auf dem Stroh zusammenrollte und die Augen schloss.
    »Miguel.«
    »Pass gut auf ihn auf, Miguel.«
    In der Nacht fand Hernando keinen Schlaf. Nach dem Brief an Don Pedro in Granada besaß er nur noch ein leeres Blatt, ein Schreibrohr und ein wenig Tinte. Er setzte sich an den wackeligen Holztisch, und im flackernden Licht der Kerze schrieb er sich seinen Zorn von der Seele. Seine Mutter, Miguel, die Spielhölle, dieses düstere, dreckige Zimmer, die Geräusche und der Lärm der anderen Gäste … Das Schreibrohr flog über das Blatt und hinterließ die vollkommensten Buchstaben, die er je zu Papier gebracht hatte. Ohne nachzudenken, schrieb er das Glaubensbekenntnis: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes. Dann hatte er Hamid vor Augen. Er hatte ihn damals in der Kirche in Juviles ihr Gebet sprechen lassen, zum Beweis dafür, dass er kein Christ war. Was wäre gewesen, wenn er schon damals gestorben wäre? Er weiß, dass jeder Mensch wissen muss, dass es keinen Gott gibt außer Gott … Dann wäre ihm ein hartes Schicksal erspart geblieben, dachte er und tauchte sein Schreibgerät wieder in die Tinte.
    Am nächsten Morgen waren weder Volador noch Miguel im Stall der Posada zu sehen. Auf Hernandos Schreie hin eilte der Wirt herbei.
    »Sie sind schon hinaus«, beruhigte dieser seinen Gast. »Der Junge hat gesagt, dass Ihr ihm die Erlaubnis gegeben habt. Und einer der Maultierhändler, der auch im Stall schlief, hat bestätigt, dass Ihr dem Jungen Euer Pferd anvertraut habt.«
    Hernando rannte in Panik zur Plaza del Potro. Sollte ihn der kleine Krüppel betrogen haben? Was, wenn man ihm nun auch noch Volador wegnahm? Doch als er auf der Straße vor der Posada angekommen war, blieb er stehen: Da war Miguel, der Junge mit den krummen Beinen, er stützte sich auf eine seiner Krücken und beobachtete, wie das Pferd aus dem Wasserbecken am Platz trank. Den Brunnen zierte seit einigen Jahren die Skulptur eines bockenden Fohlens. Voladors Fell

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