Die Pfeiler des Glaubens
sagt, dass das Wasser die Quelle allen Lebens ist.«
Die Quelle allen Lebens! Sollte seine Mutter hier womöglich wieder gesunden können? Hernando näherte sich hoffnungsvoll dem sonderbaren Paar. Miguel schilderte gerade fröhlich die Geschichte von einem verhexten Haus.
»Die Wände schwankten wie das Schilf im Wind …«
Hernando lächelte ihm zu und betrachtete dann seine Mutter, die auf einem Stuhl neben dem Brunnen kauerte.
»Sie geht von Euch, Señor«, hörte er den Jungen sagen.
Hernando hielt inne.
»Wie bitte? Aber sie sieht doch schon viel besser aus!«
»Sie geht, Señor. Ich weiß es.«
Sie sahen sich einige Augenblicke lang schweigend an, dann schloss Miguel die Augen, als bestätigte er damit seine Vorahnung. Ganz sacht schüttelte er den Kopf, als würde er Hernandos Kummer teilen, dann fuhr er mit seiner Geschichte fort.
»Señora María, die Wand vom Schlafzimmer, in dem das Mädchen schlief, verschwand wie von Zauberhand. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Eine riesige Lücke tat sich …«
Hernando hörte nicht weiter hin, er hockte vor seiner Mutter und streichelte ihr Knie. Sollte Miguel tatsächlich ihren Tod vorhersagen können? Aischa schien auf die Berührung ihres Sohnes zu reagieren und bewegte wieder eine Hand.
»Mutter«, flüsterte Hernando. »Miguel, lass uns einen Moment allein.«
Der Junge humpelte zum Stall, und Hernando legte Aischas kraftlose Finger zwischen seine Hände.
»Hörst du mich, Mutter? Kannst du mich verstehen?«, schluchzte er und drückte ihre schlaffe Hand. »Es tut mir so leid. Es ist meine Schuld. Hätte ich dir doch nur alles erzählt! Dann wäre es nie so weit gekommen. Mutter, ich habe niemals aufgehört, für unseren Glauben zu kämpfen.«
Dann schilderte er ihr, was er bislang erreicht hatte und mit welchem Auftrag er derzeit beschäftigt war. Er berichtete ihr von all den Plänen für die Gemeinschaft! Doch Aischa regte sich nicht. Hernando verbarg sein Gesicht in ihrem Schoß und weinte hemmungslos.
Es vergingen noch weitere vier Tage, bis sich die Vorahnung des Jungen erfüllte.
In diesen vier langen Tagen wich Hernando nicht von der Seite seiner Mutter und erzählte ihr ein ums andere Mal von seinen Ta ten, während neben ihm Aischas Leben langsam zu Ende ging und sie eines Morgens schließlich friedlich mit dem Atmen aufhörte.
Hernando wollte weder für das christliche Begräbnis noch für den Trauergottesdienst bezahlen. Miguel verzog das Gesicht, als er seinen Herrn mit dem Pfarrer von Santa María sprechen hörte, den dieser absichtlich erst nach Aischas Ableben benachrichtigt hatte, damit er ihr die Letzte Ölung geben und sie aus dem Verzeichnis der Morisken in der Pfarrei streichen konnte.
»Pater, sie war zwar meine Mutter, aber sie war verhext«, versuchte Hernando sich vor dem Geistlichen zu rechtfertigen, dem er dennoch das Geld für die Dienste gab, die dieser nicht zu leisten brauchte. »So lautete das Urteil der Inquisition.«
»Ich weiß«, erwiderte der Priester.
»Ich kann es dir nicht erklären«, entschuldigte er sich später bei Miguel, der den Worten entsetzt gelauscht hatte.
»›Verhext‹ sagt Ihr, Señor?«, kreischte der Junge und wäre beinahe umgefallen. »Aber selbst in ihrem Schweigen litt Eure Mutter mehr als ich damals, wenn man mich zum Betteln benutzte. Sie hat ein ordentliches Begräbnis …«
»Miguel, ich weiß sehr wohl, was meine Mutter verdient hat«, wies ihn Hernando zurecht.
Wenn er dafür bezahlt hätte, Aischa auf dem Friedhof des Sprengels zu begraben, hätte er es nicht geschafft. Doch mit ihrer Bestattung in einem Armengrab am Campo de la Merced, wo sonst kaum jemand unterwegs war, könnte es ihm gelingen. Wer hielt schon Wache bei den Leichen, deren Angehörige nicht bereit waren, für ein ordentliches christliches Begräbnis zu sorgen?
»Geh nach Hause«, befahl er Miguel, nachdem die Totengräber die Leiche ohne jeden Respekt in die Grube gestoßen hatten.
»Und was werdet Ihr nun tun, Señor?«
»Ich befehle dir, dass du jetzt nach Hause gehst.«
Hernando machte sich auf die Suche nach Abbas und fragte im Marstall nach ihm. Man ließ ihn ein, und kurz darauf betrat er die Schmiede. Seit ihrer letzten Begegnung – damals, als die Gemeinschaft sich geweigert hatte, sein Almosen anzunehmen – ging es Abbas offensichtlich schlechter. Dem Schmied wiederum entging nicht, dass auch der Nazarener sichtlich gealtert war.
»Ich glaube kaum, dass dir jemand helfen will«, versicherte
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