Die Pfeiler des Glaubens
ihre Brüder. Zudem erlebte sie in der Geburt der beiden Kinder ihre höchste Erfüllung. Rafaela, seit den Schwangerschaften mit rundlicheren Formen gesegnet, erfüllte jedes von Miguels Versprechen: Sie erwies sich als eine gute Ehefrau und eine wunderbare Mutter.
Die nun folgende Zeit verbrachten sie ausschließlich hinter den verschlossenen Türen des Hauses in Córdoba, in dessen Patio ununterbrochen aromatische Kräuter verbrannt wurden. Sie verließen ihr Haus nur sonntags für den unumgänglichen Kirchgang. Bei diesen Gelegenheiten verfluchte Hernando insgeheim die Geistlichen, die nach wie vor darauf bestanden, die Menschen scharenweise zu Gottesdiensten oder Bittprozessionen zu versammeln, und stellte erschüttert die Konsequenzen der Epidemie für die Stadt fest: Die Läden waren geschlossen, das Handelsleben kam zum Erliegen. Überall, sei es an den Straßenaltären oder vor den Kirchen und Klöstern, prasselten Feuer mit würzigen Kräutern zur Reinigung der Luft. Häuser waren verriegelt und trugen das Pestzeichen. Straßen, in denen die Krankheit gewütet hatte, waren zugemauert. Zahlreiche Familien wurden der Stadt verwiesen, während ihre erkrankten Angehörigen im Hospital San Lázaro dahinsiechten. Frauen, die noch gesund waren und bisher ein unbescholtenes Leben geführt hatten, denen es jedoch die Ehre verbot, auf den Straßen zu betteln, boten ebendort ihren Körper an, um Geld zu verdienen und so ihre Ehemänner und Kinder zu ernähren.
»Das ist absurd!«, flüsterte Hernando zu Miguel, als sie an einem Sonntag einer solchen Frau über den Weg liefen. »Sie dürfen sich prostituieren, aber Betteln ist ihnen verboten. Wie können ihre Männer das Geld nur annehmen?«
»Wegen der Ehre«, antwortete ihm der verkrüppelte Mann. »Die Bruderschaften, die sich früher um die Armen gekümmert haben, sind jetzt nicht mehr tätig.«
»Bei der wahrhaften Religion«, stellte Hernando fest und sprach nun noch leiser weiter, »ist es keine Schmach, ein Almosen anzunehmen. Wir Muslime tragen Verantwortung für das Wohl aller Mitglieder unserer Gemeinschaft. › Verrichtet das Gebet und gebt das Almosen ‹ , heißt es im Koran.«
Nicht nur die Kirche trotzte der Krankheit mit der Versammlung ihrer Gläubigen in den Gotteshäusern. Der Rat der Stadt ließ sich von der bedrückten Stimmung der Bewohner und trotz all der Warnungen nicht davon abbringen, auf dem Höhepunkt der Epidemie auf der Plaza de la Corredera Stierkämpfe abzuhalten.
Miguel widmete sich in diesen Monaten der Zurückgezogenheit vor allem den Kindern. Er vermied es, Rafaela direkt anzusehen, die sich ihrerseits taktvoll zurückhielt. An den langen, müßigen Abenden besann er sich wieder auf seine alten Geschichten und brachte den kleinen Juan mit seinen wilden Gesten zum Lachen.
»Kannst du mir nicht Rechnen beibringen?«, bat Miguel seinen Herrn, der sich fast nur noch in seiner Bibliothek aufhielt, eines Tages.
Die Arbeit an den Bleibüchern hatte in Hernando einen unendlichen Wissensdurst geweckt, den er nun mit der Lektüre von Abhandlungen über die unterschiedlichsten Themen zu stillen suchte.
Hernando verstand Miguels eigentliche Bitte und erklärte sich zum Unterricht bereit, weshalb sich nun beide Männer tagsüber in die Bibliothek zurückzogen und mit Ziffern, Additionen und Subtraktionen beschäftigten. So hatten sie für sich einen Weg gefunden, ihr Leben in der Abgeschiedenheit weiterzuführen, während draußen die Epidemie wütete und immer mehr Menschen dahinraffte.
Auch der Jurado Don Martín Ulloa war unter den Opfern. Die Jurados der Gemeindebezirke waren dazu aufgefordert worden, die Häuser zu kontrollieren, Pestkranke gegebenenfalls ins Hospital San Lázaro zu schicken und deren Familienangehörige der Stadt zu verweisen. Der Jurado war deshalb auch immer wieder bei Hernando und Rafaela erschienen und hatte in Begleitung eines Mediziners die umfassenden – wie unnützen – Untersuchungen machen lassen. Nicht selten hatte er den Mediziner dazu angehalten, dabei noch gründlicher vorzugehen als bei den anderen Bewohnern des Viertels. Seine Angst vor Hernando war verschwunden, und seine Machenschaften mit den Findelkindern hatten ohnehin schon längst ein Ende gefunden. Aber wer hätte sich um derartige Angelegenheiten jetzt noch gekümmert? Der Jurado machte bei diesen Besuchen keinen Hehl daraus, dass er mit vollem Eifer nach einem Anzeichen der Krankheit bei seiner eigenen Tochter suchte – und sei es
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