Die Pfeiler des Glaubens
dass sie mit der Hilfe der Heiligen Jungfrau ihre Familie wieder zusammenbringen konnte, so wie Hernando durch sie die beiden Religionen zusammenführen wollte.
El Arenal in Sevilla war ein riesiges Gelände, das sich zwischen dem Guadalquivir und der mächtigen Stadtmauer bis hin zum Torre del Oro – dem »Goldturm« – erstreckte. Hier war alles angesiedelt, was für das Funktionieren dieses bedeutenden Flusshafens notwendig war. Sevilla war der wichtigste Umschlagplatz für die Flotten aus Amerika, die die Schätze der Eroberer herbeischafften. Seeleute, Kalfaterer, Schiffszimmerer, Stauer, Soldaten … Hunderte Menschen waren hier im Hafen für gewöhnlich mit dem Warenverkehr oder mit der Reparatur und Wartung der Schiffe beschäftigt. Doch im Februar 1610 wurde El Arenal zu einem streng bewachten Gefängnis für Tausende Moriskenfamilien, die mit Sack und Pack auf ihre Deportation in die Barbareskenstaaten warteten. Inmitten der aneinandergedrängten, gedemütigten Menschen streiften Büttel und Soldaten umher. Sie suchten nach Gold und Geldstücken, filzten Männer und Frauen, Alte und Kranke und sogar die Kinder. Anders als die Morisken aus Valencia mussten die Andalusier ihre Schiffspassagen selbst bezahlen, und die Reeder nutzten ihre Notlage aus, indem sie das Doppelte des üblichen Preises verlangten.
Zwischen den zahlreichen, in einigem Abstand vom Ufer vor Anker liegenden Schiffen befand sich auch eine große katalanische Karavelle. Auf ihr stand Fatima an der Reling und beobachtete das Treiben an Land. Wie sollte sie Hernando zwischen all diesen Flüchtlingen nur ausfindig machen? Seit den frühen Morgenstunden beförderten Barkassen ununterbrochen Vertriebene, Waren und Gepäck vom Flussufer zu den Schiffen, die sich auf die Überfahrt zu den Barbareskenstaaten vorbereiteten. Fatima blickte in die verzerrten Gesichter der Morisken auf den Schiffen. Verzweifelte Frauen, denen man die Kinder weggenommen hatte, gebrochene Männer, die nicht nur ihre letzten Hoffnungen aufgeben mussten, sondern auch ihre Häuser und Familien, altersschwache oder kranke Menschen, die von den Barkassen auf die Schiffe gehievt werden mussten. Andere wirkten zu Fatimas Überraschung geradezu glücklich, beinahe so, als hätten sie soeben ihre Freiheit errungen. Doch ihren Ehemann konnte sie auf keinem der Boote entdecken. Während der Überfahrt von Tetuan hatte sich Fatima den verrücktesten Träumen hingegeben. Sie hatte sich ausgemalt, wie Ibn Hamid auf sie zueilte und sie in seine Arme schloss, wie er ihr versicherte, sie niemals vergessen zu haben, und ihr ewige Liebe schwor. Dann holte sie sich selbst immer wieder in die Wirklichkeit zurück. Es war dreißig Jahre her, seit sie … Sie war keine junge Frau mehr, auch wenn sie nach wie vor schön war. Aber hatte sie kein Anrecht auf Glück?
»Sag dem Kapitän, dass mich eine Barkasse ans Ufer bringen soll«, wies Fatima einen der drei Nubier an, die sie dank Ephraims Vermittlung begleiteten. »Sofort!«, schrie sie den Sklaven an, als er zögerte. »Ihr begleitet mich. Nein«, verbesserte sie sich, als sie bedachte, dass drei riesige Schwarze zu viel Aufmerksamkeit erregen könnten, »sag dem Kapitän, dass er vier bewaffnete Seeleute für meine Begleitung abstellen soll.«
Sie musste unbedingt an Land gehen und dort nach Hernando suchen. Sie führte ausreichend Geleitbriefe und Genehmigungen mit sich. Ephraim hatte gute Arbeit geleistet, wie immer. Doch für alle Fälle … Sie tastete nach dem Beutel voller Goldmünzen, den sie unter ihren Kleidern verbarg. Notfalls konnte sie die christlichen Soldaten bestechen, die das Gelände bewachten.
Kurz darauf stieg sie in die Barkasse und kam neben einer Dienerin und den vier katalanischen Seeleuten auf einer Bank zu sitzen.
An Land bahnten ihr die Männer den Weg durch die Menschenmasse, und so durchstreifte Fatima das gesamte Gelände von El Arenal. Dabei erwiderte sie ungerührt die Blicke der Schaulustigen. Wie mochte ihr Ehemann inzwischen wohl aussehen?
Rafaela ließ sich erschöpft auf einen Baumstumpf am Wegesrand sinken und setzte Salma und Musa ab, die die letzte Strecke nur noch geweint hatten, obwohl sie von ihr getragen wurden. Nur der fünfjährige Muqla war schweigend neben seiner Mutter hergegangen, als verstünde er die Bedeutung ihres Marsches.
Seit mehreren Tagen liefen sie nun schon der Kolonne der vertriebenen Morisken aus Córdoba hinterher, die ihnen zwar nur eine halbe Tagesreise voraus war,
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