Die Pfeiler des Glaubens
die sie aber dennoch nicht einholen konnten. Rafaela war am Ende ihrer Kräfte. Ihre Beine und Arme schmerzten, ihre Füße waren wund gelaufen, und im Rücken spürte sie einen stechenden Schmerz. Und die Kleinen hörten einfach nicht auf zu jammern!
So verbrachte sie eine geraume Weile in der beruhigenden Stille der brachliegenden Felder und blickte zum Horizont, dorthin, wo in weiter Ferne Sevilla liegen musste.
»Los, Mutter, lass uns weitergehen«, drängte Muqla schließlich.
Sie schüttelte den Kopf. Das war das Ende!
»Bitte, geh weiter«, forderte der Junge sie auf und zog an ihrem Arm.
Sie machte einen Versuch, doch sobald sie sich erhob, sackte sie in sich zusammen. Sie musste sich wieder setzen.
»Lass uns nur noch ein bisschen rasten«, versuchte sie Muqla zu besänftigen. »Wir gehen gleich weiter.«
Da wurde Rafaela das außergewöhnliche Aussehen ihres Sohnes zum ersten Mal bewusst: Seine hellen blauen Augen sahen sie erwartungsvoll an. Sein Blick war vollkommen klar. Alles Übrige – seine Haare, seine Kleider, seine zerschlissenen Schuhe – vermittelte eher den zerlumpten Eindruck jener Kinder, die in den Straßen von Córdoba bettelten. Aber diese strahlenden Augen … Sollte Hernando recht behalten, der so große Hoffnung in dieses Kind setzte?
»Wir haben schon zu oft gerastet«, beschwerte sich Muqla.
»Ich weiß.« Rafaela breitete die Arme aus. »Ich weiß, mein Herz«, schluchzte sie ihm ins Ohr, als sie ihn umarmte.
Was sollte nur aus ihnen werden?
Plötzlich hörte sie aus einiger Entfernung Lärm. Bald darauf konnten sie die ersten Menschen und Pferde erkennen, die offenbar ebenfalls in ihre Richtung liefen. Es wurden immer mehr. Das waren die Morisken aus Castro del Río, Villafranca, Cañete und all den anderen Orten, die sich ebenfalls im Hafen von Sevilla einfinden mussten. Rafaela trocknete ihre Tränen und vergaß ihre Schmerzen. Sie stand auf, verbarg sich mit ihren Kindern etwas abseits vom Weg, und als die Kolonne schließlich an ihnen vorüberzog und sie keinen Wachsoldaten darunter entdeckte, packte sie die Kleinen und mischte sich einfach unter die Leute. Einige der Flüchtlinge sahen sie verwundert an, sagten aber weiter nichts. Alle waren unterwegs in die Verbannung, auf eine Familie mehr oder weniger kam es nicht an. Rafaela zückte ihren Geld beutel und entlohnte einen der Maultiertreiber großzügig, damit sie Salma und Musa zwischen das Gepäck setzen durfte, das eines der Tiere schleppte. Nun konnten sie Sevilla doch noch rechtzeitig erreichen. Allein diese Hoffnung verlieh ihr neue Kräfte. Muqla ging beglückt neben ihr weiter, und sie hielten einander an den Händen.
Bei dem ekelhaften Gestank der Menschen, die hier unter widrigsten Umständen zusammengepfercht waren, verschlug es Fatima den Atem. Dazu kamen die lauten Rufe, der Rauch der Lagerfeuer und der Kochstellen, das Waten im Schlamm, die Kinder, die überall herumsprangen, die Stöße, die sie trotz ihrer Beschützer abbekam, das ewige Hin und Her, das sie immer wieder an Stellen führte, die sie bereits überprüft hatten: So würde sie nie ans Ziel kommen.
Sie fragte einige Soldaten nach Hernando, doch diese glotzten sie bloß an, als wäre sie verrückt, und prusteten los.
»Diese Ketzer sind doch alle gleich! Die haben keine Namen!«, schimpfte ein Soldat.
An der Stadtmauer entdeckte Fatima eine Steinbank und ließ sich erschöpft darauf nieder.
»Ihr macht euch jetzt auf die Suche nach meinem Mann«, befahl sie dreien der Seeleute in ihrer Begleitung. »Er heißt Hernando Ruiz, und er stammt aus Juviles, einem Dorf in den Alpujarras. Er ist mit den Leuten aus Córdoba gekommen. Er hat blaue Augen«, wunderschöne blaue Augen, dachte sie, »und er hat einen Jungen und ein Mädchen bei sich. Ich warte hier auf euch. Wenn ihr ihn findet, werde ich euch großzügig belohnen, euch alle«, sagte sie noch, um den Seemann zu beruhigen, der bei ihr bleiben musste.
Die drei Männer machten sich eilig davon.
Einige Zeit später kam einer der Männer aufgeregt angelaufen.
»Der Mann, den Ihr sucht, Herrin«, keuchte er, »ist dort, bei den Pferden.«
Fatima erhob sich von der Bank.
»Bist du ganz sicher?«
»Ja, ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mir bestätigt, dass er Hernando Ruiz aus Juviles ist.«
Fatima erschauerte.
»Hast du ihm gesagt …?« Ihre Stimme bebte. »Hast du ihm gesagt, dass man ihn sucht?«
Der Katalane zögerte.
»Nein«, antwortete er unsicher.
»Bring mich zu
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