Die Pferde vom Friesenhof 02 - Wilde Jagd am Meer
sagt nichts. Im schwachen Lichtschein entdeckt sie einen braunen Kamm vor sich auf dem Boden. Den hat die grinsende Ratte bei dem Gerangel verloren.
»Weg!«, flüstert Lea. »Schnell weg!«
Lea nimmt Charlottes Hand, zieht das Mädchen hoch und rennt mit ihr über die Stallgasse durch die Tür, weiter über den Weg zu den Weiden. Sie klettern unter Zäunen und Elektrobändern hindurch, laufen weiter. Lea lässt Charlotte keine Sekunde los.
Erstaunt heben die Pferde ihre Köpfe, als die Mädchen an ihnen vorbeihetzen.
»Auf der Weide wird nicht gelaufen!«, tönt der Bass von Markus Eichhorn vom Haus her. Verärgert klingt er, aber das ist nicht wichtig. Es ist so tröstend, seine vertraute Stimme zu hören, denkt Lea erleichtert.
Mitten auf der Pferdewiese werfen sich Lea und Charlotte hin. Keuchend liegen sie auf dem Rücken. Das Gras unter ihnen ist feucht vom Abendtau. Ihr Atem geht stoßweise. Lea greift in Grasbüschel. Sicherheit. Ringsumher sieht sie nur Pferdebeine und malmende Mäuler. Sie fühlt sich geschützt.
Plötzlich muss Lea laut lachen. Wahrscheinlich, denkt sie, halten mich viele Leute für verrückt, weil ich mich zwischen Pferdehufen sicher fühle - und nicht bedroht. Lea lacht und lacht und kann gar nicht aufhören, bis auch Charlotte einfällt. Glucksend wälzen sie sich im feuchten Gras und lachen sich die Angst von der Seele.
Schließlich stand Lea auf, holte ihr Handy aus der Weste und tippte Jettes Nummer ein.
»Rufst du die Polizei an?«, stieß Charlotte hervor und richtete sich auf.
Lea hielt inne. »Die Polizei? Willst du das etwa?«
Heftig schüttelte Charlotte den Kopf und stützte die Arme in die Rippen. Sie hatte Seitenstiche vom Lachen. Vorhin, in der Sattelkammer, war sie vor Angst fast gestorben. Aber jetzt, zwischen den Pferden, war ihre Furcht wie weggeblasen. Nein, keine Polizei. Polizei hieß: Auf Wiedersehen Reiterhof - ab zur Tante!
Am Telefon meldete sich Jette.
»Hier war gerade der Teufel los«, sagte Lea ins Handy. »Nein, besser gesagt, wir hatten Besuch von einer grinsenden Ratte ...«
Jette fragte als Erstes aufgeregt: »Habt ihr die Spuren gesichert?«
»Nein«, gab Lea kleinlaut zu. »Ehrlich gesagt - wir sind getürmt.«
Jette ersparte sich jeden Kommentar. Doch was ihr Seufzen bedeutete, verstand Lea auch ohne Worte - nämlich: Aus dir wird nie ein guter Polizist. Jette sagte aber nur: »Passt auf, dass keiner in die Sattelkammer geht. Bin schon unterwegs.«
Lea und Charlotte gingen zurück zum Stall, wo sie mit Jette verabredet waren. Nichts wies daraufhin, dass hier kurz zuvor ein Überfall stattgefunden hatte. Lea fand, es gab keinen zweiten Platz, der so friedlich aussah wie der Friesenhof im Licht der untergehenden Sonne. Wie Bilder täuschen konnten ...
Alle Ferienmädchen hielten sich im Haus auf, wo es gleich Abendbrot gab. Nur Markus Eichhorn machte sich auf der Terrasse zu schaffen. Er pflanzte einige Sträucher auf das Mäuerchen, das oben mit Erde bedeckt war. Die neuen Büsche sollten Muli am Klettern hindern.
»Hallo, Jette!«, rief er, als er die Elfjährige entdeckte, die ihr Rad an den Stall lehnte und mit Lea hineinging. Und dann: »Alles in Ordnung im Stall, Lea?«
»Klar, alles okay, Papa!«, rief Lea zurück. Hoffentlich kam ihr Vater nicht auf die Idee, ihnen zu folgen. Wenn er das Chaos in der Sattelkammer sah, mussten sie Farbe bekennen. Doch Markus Eichhorn gab sich mit der Antwort zufrieden und fuhr fort, Löcher zu graben.
Lea nahm die Taschenlampe vom Haken neben der Stalltür. Charlotte zögerte, die Stallgasse zu betreten. Das Bild der grinsenden Ratte drängte sich wieder auf. Erneut sprang die Angst sie an.
»Ich bleibe draußen«, sagte sie mit dünner Stimme.
Hastig drückte sich Charlotte an Jette vorbei, lief am Gebäude entlang zu einem offenen Stallfenster, durch das sie sich nach innen lehnte. Von dort beobachte sie, wie Lea in die Sattelkammer leuchtete.
Im Lichtkegel blitzte Glas auf. Feine Splitter lagen auf den Sätteln, der Fußboden war regelrecht übersät damit. Mitten darin lag ein schwarzer Reitstiefel, daneben ein brauner Kamm.
Jette pfiff durch die Zähne. »Ist das der Kamm von ... der Ratte?«
»Ja.«
Jette schnallte ihren Rucksack ab, holte eine Rolle Tiefkühlbeutel heraus und riss zwei Folientüten ab. Eine davon stülpte sie über die Hand, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Vorsichtig machte sie einen Schritt in die Sattelkammer. Mit spitzen Fingern fasste sie den Kamm an
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