Die Pflanzenmalerin
das Fenster jetzt vernagelt war, ließen das Haus verwahrloster aussehen als sonst. Aber in Katyas Zimmer brannte Licht, und der Flur drinnen wirkte warm und bewohnt. Ich hatte den ganzen Nachmittag in diversen Bibliotheken zugebracht und einen Stapel Bücher mitgenommen. Ihr Gewicht in meiner Tasche machte mich glücklich, als ich die Vorhänge zuzog und die Nacht aussperrte.
Zu meiner Überraschung - Katya und ich störten uns selten in unseren Zimmern - klopfte es gegen sieben an meiner Tür. Sie stand offenbar im Begriff auszugehen: Ihr Make-up unterstrich ihre Blässe, und ihre Augen waren doppelt so dunkel wie sonst. Sie trat nicht ein, sondern schob nur Kopf und Schultern durch die Tür und lächelte. Es war ein Lächeln, wie es auf einen Abend der Vertraulichkeiten folgt.
»Ich muss dir was zeigen«, sagte sie. »Ich war in der Universitätsbibliothek und hab das hier ausgeliehen.«
Sie brachte eine gebundene Biografie von Joseph Banks zum Vorschein. Es war das Buch, das ich als Nächstes lesen wollte.
»Dein Joseph Banks gefällt mir«, sagte sie. »Ein interessanter Mann. Und für Rätsel hatte ich schon immer was übrig.«
Lächelnd hielt ich das Buch hoch, das ich selbst gerade las. Eine andere Biografie desselben Mannes.
»Vielleicht sollten wir morgen mal drüber reden.«
Sie lächelte wieder.
»Ja, das wäre gut«, sagte sie und wandte sich zum Gehen. »Ich bin froh. Die Vorstellung, dass dein Freund Anderson alles bekommt, was er will, hat mir nicht gefallen.«
Über eine Stunde später wurde ich wieder gestört, diesmal von einem Klingeln. Ich konnte mich nur langsam aufraffen, und ehe ich an der Tür war, klingelte es von neuem, wieder lang und heftig. Wegen des zugenagelten Fensters konnte ich nicht sehen, wer draußen stand, und so erkannte ich Gabriella erst, als die Tür aufschwang und das Licht auf die Straße fiel. Unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte.
Ihre Zeichnungen setzten ihn in Erstaunen, und seine Entdeckung beglückte ihn. Als Jüngling hatte er die Stücke, die er sammelte, stets auch gezeichnet, wie es seine Berufung von ihm verlangte. Die Zeichnungen aber, die er hier sah, waren um vieles besser als alle, die er selbst je angefertigt hatte. Nicht künstlerisch besser - es war nicht eine Frage des feineren Strichs oder größerer Empfindsamkeit -, sondern wissenschaftlich besser, genauer beobachtet, getreuer in den Details. Jede von ihnen ließ ihn eine Blume oder ein Blatt mit neuen Augen sehen, als hätte er sie sich einst eingeprägt und dann wieder vergessen.
Ihretwegen waren die Tage vor seiner Abreise aus Revesby von botanischem Tatendrang erfüllt. Er spürte die Sonne auf seinem Rücken und in seinem Innern die Anfänge seiner ersten heftigen Leidenschaft für Lebendiges. Noch die vertrauteste Pflanze faszinierte ihn, und jede einzelne erschien ihm wie ein Wunder. Bald würde er viele tausend Meilen entfernt, in tropischen Gefilden weilen. Es würde gut sein, diese frischen Erinnerungen an seine heimatlichen Wälder mitzunehmen.
Anfangs hatte sie ihm ihre Arbeit nicht zeigen wollen. Als es ihm gelang, einen Blick darauf zu werfen, drückte sie das Zeichenbuch an sich, und als ihre Blicke sich kreuzten, begriff er sogleich, dass keine Koketterie in ihrer Weigerung lag. Einen Moment lang hielt sie seine Augen fest und schien etwas sagen zu wollen. Dann gab sie plötzlich nach und überließ ihm das Buch.
Die Sonne schien, und sie beobachtete ihn, wie er dort im Wald zum ersten Mal ihr Werk in Händen hielt und mit einer Miene voller Staunen von Zeichnung zu Zeichnung blätterte. In diesem Augenblick fühlte sie eine erregende Wildheit in sich, die sie zunächst nicht verstand. Sie wusste um Vorsicht und Wachsamkeit, und ihre Freude fand sie in der Freiheit der Wälder. Aber sie wusste nichts von dem, was sie an diesem Tag empfand, und der Schreck ließ sie verstummen. »Das will ich in Erinnerung behalten«, sagte sie zu sich selbst. »Lass mich das immer in Erinnerung behalten.« Es war das erste Gebet seit einem Jahr, das nicht ihrem Vater galt.
An jedem der folgenden Nachmittage waren sie ohne vorhergehende Verabredung wieder zu der Lichtung gekommen. Seite für Seite gingen sie ihr Zeichenbuch durch, erörterten Natur und Eigenart jeder einzelnen Pflanze. Banks’ Freude an ihrer Gesellschaft war instinktiv und unbewusst, und in der Stille des Waldes gab es nichts, was ihn innehalten und an die Folgen denken ließ. Sie dagegen genoss den Sonnenschein auf
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