Die Pflanzenmalerin
herzerwärmend. Ich holte die Prospektesammlung aus der Touristeninformation hervor und breitete sie auf dem Tisch aus.
»Die bringen alle nichts«, ertönte plötzlich eine amerikanische Stimme. Der Neuankömmling war an meinen Tisch getreten und schüttelte das Wasser von seinem Mantel.
»Bitte?«, fragte ich so kühl, wie man nur fragen kann, wenn man bei der Lektüre eines Prospekts, in dem von Koboldtälern und Elfengrotten die Rede ist, unterbrochen wird.
»Das ist alles nicht das, was Sie suchen.« Der Mann legte seinen Mantel über einen Stuhl. »Sie sind doch Fitzgerald«, fügte er hinzu. »Macht’s Ihnen was aus, wenn ich mich zu Ihnen setze?«
Er rückte bereits einen Stuhl heran. Unter seinem Mantel war ein dreiteiliger Anzug aus Wollstoff zum Vorschein gekommen, wie ihn Landärzte in den 1930er Jahren trugen. Er hatte graues, leicht gewelltes Haar und eine dicke, altmodische Brille, was ihn geradezu absurd unamerikanisch wirken ließ.
»Potts mein Name«, sagte er und streckte mir die Hand hin. »Ich habe in der Universität angerufen, und man hat mir mitgeteilt, dass ich Sie hier finden würde. Ich wohne im The George in der High Street.«
Während ich das zur Kenntnis nahm, zog er einen Stapel Prospekte, ähnlich meinen eigenen, aus der Tasche. Mit einem Glimmen in den Augen legte er sie der Reihe nach auf den Tisch.
»The Old Grange? Nein. Hawsley Manor? Nein. Thurley Hall? Schon gar nicht. Radnors? Herrje, da machen sie Käse. Unmöglich. Pulkington Hall? Nein. Und Pixie Glen« - er schauderte -, »Sie können ja zu Ihren Kobolden fahren, wenn Sie wollen, aber sagen Sie nachher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«
Ich legte meine Broschüren auf seine.
»Ich glaube, Sie fangen besser noch mal von vorn an. Wer sind Sie?«
»Potts.« Er zwinkerte mir zu wie ein Onkel, der ein Geheimnis verrät. »Ich bin aus demselben Grund hier wie Sie, nehme ich an.«
»Sie suchen einen verschollenen Vogel?«
»Bitte sehr.«
Er fasste in seine Jacke und überreichte mir eine Karte. Sie verriet nicht viel.
Emeric Potts
Kunst, Antiquitäten, Varia
»Sie sind Kunsthändler?« Ich sah ihn mir genauer an.
Er schob die Lippen vor, als wollte er diesen Gedanken fortpusten.
»Nicht direkt. Aber ich mache mit Kunsthändlern Geschäfte, könnte man sagen. Ich mache die Sachen ausfindig, die sie verkaufen wollen. Sie suchen einen verschollenen van Dyke? Eine Erstausgabe von Ulysses ? Dann bin ich Ihr Mann.«
Ich gab ihm die Karte zurück.
»Liegt das hier nicht etwas außerhalb Ihrer sonstigen Aktivitäten?«
»Oh, ich würde es eher als natürliche Diversifikation bezeichnen. Man könnte ja sagen, die Taxidermie ist eine Fortsetzung der Bildhauerei mit anderen Mitteln.«
»Dann kennen Sie jemanden, der den Ulieta-Vogel kaufen will?«
Potts verzog gequält das Gesicht.
»So direkt, Mr. Fitzgerald... Sagen wir, ich bin sehr daran interessiert, ihn zu finden. Und Sie können mir am ehesten dabei helfen, habe ich gehört. Ich habe Sie in den letzten Tagen mehrmals anzurufen versucht, aber Sie waren wohl nie da.«
Ich musterte sein Gesicht; ich war skeptisch.
»Und was machen Sie hier in Stamford? Sie suchen doch sicher nicht nur mich.«
Er fasste von neuem in die Tasche und holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor.
»Haben Sie das gesehen?«, fragte er.
»Hm, ich weiß nicht...«, log ich. Ich hatte die Fotokopie, die er vor mich hinlegte, sofort erkannt. Es war John Ainsbys Brief.
»Natürlich haben Sie.« Er lehnte sich zurück und zog die Kopie zu sich heran. »Ich hab’s Ihnen ja selbst geschickt.«
Ich muss gestehen, ich war überrumpelt, und das sah man mir wohl auch an.
»Was glauben Sie, von wem das kommt, Mr. Fitzgerald? Von Karl Anderson?«
»Nein. Das heißt...«
Er kicherte leise in sich hinein. »Jedenfalls ist es Andersons Brief. Deswegen ist er so schnell hergekommen, um den Vogel zu suchen.«
»Er hat gesagt, er wollte sowieso kommen. Wegen irgendwelcher Pflanzenmalereien. Das mit dem Ulieta-Vogel macht er nur nebenbei.«
Potts lächelte freundlich, aber ich merkte, dass er mich durch seine Brille genau beobachtete.
»So, das hat er gesagt? Na ja, wer weiß?« Er nahm die Brille ab und rieb sie an seiner Weste. Anderson und seine Motive schienen ihn nicht weiter zu interessieren, doch ich wollte noch mehr hören.
»Tut mir Leid, aber das macht keinen Sinn. Wieso sollten Sie mir den Brief zukommen lassen?«
Er zuckte die Schultern, als wollte er damit andeuten, dass
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