Die Pforte
jederzeit hier einsteigen, wenn du Lust hast. Also, ruf mich an. Ende.»
Whitebird war ein Computersystem, bestehend aus Hard- und Software, an dem Jeff seit Jahren arbeitete. Es handelte sich um eine begrenzte Form von künstlicher Intelligenz, mit der die Leistung computergesteuerter Gegner in Videospielen verbessert werden sollte. Jeff hatte es ausprobiert, indem er es in älteren, einfacher strukturierten Spielen die Rolle des menschlichen Spielers übernehmen ließ, hauptsächlich Martial-Arts-Sachen auf 8-Bit -Systemen aus den Achtzigern und Neunzigern. Jetzt war er also schon bei modernen Spielen wie
Fog of War
angelangt. Ziemlich beeindruckend. Wenn er erst alle Schwachstellen beseitigt hatte, könnte er mit dem Verkauf des Systems an einen Spieleentwickler einenHaufen Geld verdienen, Millionen womöglich. Aber um Geld ging es ihm gar nicht so sehr; er war einfach Computertüftler aus Leidenschaft.
Jeffs Angebot war so verlockend, dass Travis in den letzten zwölf Monaten des Öfteren mit dem Gedanken gespielt hatte, es anzunehmen. Auch jetzt konnte er ein leises Bedauern nicht unterdrücken. Als hätte er eine Ausfahrt auf dem Highway verpasst, die er eigentlich hätte nehmen sollen und zu der es für ihn jetzt kein Zurück mehr gab.
Lustig eigentlich. Hätte man früher Leute gefragt, wer von ihnen beiden eines Tages mal an einem Ort wie Border Town landen würde, hätten wohl alle auf Jeff getippt. Wahrscheinlich beschäftigte Tangent auch ein ganzes Heer von I T-Technikern , um Programme für seine speziellen Forschungszwecke entwickeln und betreiben zu lassen.
Travis wandte sich vom Telefon ab und wollte gerade zum Kühlschrank gehen, als es an seiner Tür klopfte.
Er ging durch das Wohnzimmer, öffnete und sah Paige vor sich stehen, offenbar ebenfalls frisch geduscht. Sie wirkte immer noch etwas aufgedreht, aber auch so, als sehnte sie sich dringend nach ein wenig Entspannung.
«Sagen Sie mir, dass Sie noch nichts gegessen haben», sagte sie.
«Ich habe noch nichts gegessen.»
Eine Stunde später saßen sie sich mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Bett gegenüber. Hin und wieder, wenn sie den Blick auf ihre Hände senkte, die unruhig auf ihrem Schoß herumnestelten, fiel ihr das Haar übersGesicht, auf eine Weise, an der Travis sich nicht sattsehen konnte.
Sie unterhielten sich über alles Mögliche. Nach ihrem Highschool-Abschluss hatte Paige mit sechzehn ein Studium an der Texas A&M University begonnen. Zunächst studierte sie Geschichte, wechselte aber dann zu dem damals noch neuen Fach Nanosystemtechnik. Vier Jahre später machte sie ihren Abschluss mit einem Projekt, bei dem es um die Entwicklung von Prototypen für digitale weiße Blutkörperchen ging, mit denen sich dereinst praktisch jede Krankheit besiegen lassen würde. Das war natürlich auch heute noch ferne Zukunftsmusik. Als Travis sie nach dem Grund für ihren Fachwechsel fragte, erzählte sie ihm, was ihr damals klargeworden sei: dass sie sich zwar brennend für die Geschichte der Menschheit interessierte, aber noch mehr dafür, wohin die Reise künftig ging. Die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Spitzentechnologie, das immer höhere Tempo, mit dem die klügsten Köpfe der Welt gegenseitig auf ihrer Arbeit aufbauten, faszinierten sie ohne Ende. Mit einundzwanzig stand für sie fest, dass sie ihr Leben in dieser Welt verbringen wollte.
Und dann hatte ihr Vater, ihr einziger noch lebender Angehöriger, sie eines sehr überraschenden Wochenendes mal mit hierher genommen, um ihr zu zeigen, womit er tatsächlich sein Geld verdiente. Was einer ziemlichen Offenbarung gleichgekommen war. Doch es gab auch unerfreuliche Begleiterscheinungen: Die Angehörigen von Tangent-Mitarbeitern wie Peter Campbell waren einem hohen Sicherheitsrisiko ausgesetzt. Paige war in Gefahr, einfach dadurch, dass sie die war, die sie war, und ihrLeben lebte. Solange diese Gefahr weiter bestand, wäre sie hier in Border Town sicherer aufgehoben.
«Seither wohne ich hier.» Sie ließ den Blick durch ihre Wohnung schweifen, zwei Etagen unter Travis’ Unterkunft und genau gleich gestaltet, abgesehen von der persönlichen Note, die sie den Zimmern gegeben hatte.
Irgendwie fanden ihre Hände den Weg in die seinen. Er hielt sie sanft umfasst und streichelte ihr mit den Daumen über die Handinnenflächen.
Sie senkte die Stimme. «Hat es nach dem Gefängnis irgendjemand Speziellen gegeben?»
«Nein, niemanden», sagte er. Und fügte dann noch hinzu:
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