Die Pforte
«Und auch niemand Speziellen
im
Gefängnis.»
Paige lachte und blickte von ihren Händen hoch, um ihn direkt anzusehen.
«Als ich wieder frei war», sagte er, «hatte ich das Gefühl, es hat keinen Sinn, so was auch nur zu probieren. Weil schließlich jedes Gespräch unvermeidlich auf die eine Frage zusteuert: ‹Du bist aus Minnesota? Ach, was hast du denn da so gemacht?›»
Sie lachte wieder leise. «Und wie bist du damit klargekommen?»
Er schwieg kurz. «Ich habe mir gesagt, dass darin meine wirkliche Strafe bestand. Die Strafe, die niemals mehr aufhören würde. Und auch, dass ich das verdient hatte.»
«Für das, was mit –» Sie verstummte, kramte offenbar gerade in ihrem Gedächtnis nach dem Namen, den sie in dem Polizeibericht gelesen hatte. «Was mit Emily passiert ist. Mit Emily Price.»
Travis nickte. «Sie hat mich vor dem gerettet, was ich war. Hat mir, bildlich gesprochen, wenn nicht sogar buchstäblich,das Leben gerettet. Und deswegen haben sie sie umbringen lassen. Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es kommen sehen müssen, und da habe ich versagt.»
«Man unterschätzt leicht, zu was für Abscheulichkeiten andere Menschen imstande sind», sagte Paige. «Für einen solchen Irrtum sollte man nicht lebenslang büßen müssen, finde ich.»
Er rang sich ein mattes Lächeln ab und hielt ihre Hände etwas fester umfasst.
Im Dunkel hatten sie sich schnell entkleidet, und dann gab es nur noch ihre Haut an der seinen, so viel wärmer, als er es sich vorgestellt hatte, und ihr Haar, das auf ihn herabfiel und so köstlich süß duftete wie Apfelbäume im Oktober. Auf ihrer Zunge schmeckte er das Aroma des Weißweins, den sie zum Abendessen getrunken hatte. Und er kostete die zarte Haut unter ihrem Kinn. Kostete alles an ihr.
Später, als sie in seinen Armen lag, spürte Travis, wie sich in der Stille all die Fragen aufstauten, über die sie, das wusste er, beide nachdachten. All die Sachen, die keinen Sinn ergaben, egal, wie man sie drehte und wendete.
«Alles, was das Flüstern je getan hat», sagte er, «seit es an jenem Tag 1989 aus der Pforte zum Vorschein gekommen ist, gehört zu der Täuschung mit dazu. Nicht wahr?»
Sie nickte an seiner Brust. «Ich glaube schon.»
«Die Vorstellung, dass es irgendwie gezwungen ist, einem erst zu helfen, und erst danach versucht, einem seinen Willen aufzuzwingen, ist Unfug. Es kann jederzeit alles tun, wonach ihm der Sinn steht. Es unterliegt keinerleiZwang, ist an keinerlei Grenzen gebunden. Dieses ganze Theater war eine einzige Täuschung, um auf die Weise zu kontrollieren, wie Menschen mit ihm umgingen. Oben in Alaska, als es mit meiner Hilfe versucht hat, einen Atomkrieg auszulösen, schien es so, als würde sein Vorhaben durchkreuzt, weil überraschend Pilgrims Leute in dem Hubschrauber aufgetaucht sind. Glaubst du das auch nur eine Sekunde lang? Das Ding kann Jahre im Voraus einen Mega-Lottogewinn vorhersehen, aber nicht die Ankunft eines Hubschraubers in wenigen Minuten? Etwas, das ein Radartechniker mit einer Stoppuhr wahrscheinlich im Kopf ausrechnen könnte?»
«Wirkt schon ein bisschen merkwürdig», flüsterte Paige.
«Es hat bloß den Schein aufrechterhalten», sagte er. «Seine Rolle noch ein wenig länger gespielt. Jeder Zug, den es seit seiner Ankunft auf dieser Welt unternommen hat, hat dem Ziel gedient, alles genau dorthin zu steuern, wo es sich jetzt befindet. Siehst du, was die eigentliche Frage dabei ist?»
«Dass es verdammt seltsam ist, dass ein so mächtiges Ding zwanzig Jahre dazu braucht, um sein Ziel zu erreichen?»
«Genau», sagte er. «Wenn es nur auf die Kontrolle über Border Town und die Pforte aus wäre, hätte es sich die doch vom ersten Tag an verschaffen können. Hätte bloß von Anfang an den Schmusekurs zu fahren brauchen, um damit alle im Nu zu erobern. Sobald es dann von der richtigen Person in der Hand gehalten worden wäre, von jemandem, der Zugriff auf die wirklich zerstörerischen Sachen hat, die irgendwo hier im Gebäude weggeschlossen sind, hätte es den Betreffenden als Marionette benutzenkönnen, um alle hier unten umbringen zu lassen. Einfach so. Also, worauf zum Teufel ist es wirklich aus? Was ist so weit außerhalb seiner Reichweite, dass es all dieser Jahre und all dieser ausgeklügelten Planungen bedurft hat?»
Sie antwortete nicht sofort. Er konnte spüren, wie sie an seiner Brust die Stirn runzelte.
«Könnte es vielleicht auf etwas aus sein, das es bisher noch nicht gab, das
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