Die Pforte
zweistöckige Haus hinter ihr nahm Karls gesamtes Gesichtsfeld ein, immerhin war es gut vierzig Meter breit. Einige der Fenster im Obergeschoss standen offen, oberhalb des Balkons, der leicht zu erklimmen war. Was Karl auch bereits getan hatte, um sich in den Zimmern des Hauses umzusehen, Schränke und Kommoden in Ellis’ Schlafzimmer zu inspizieren und sich seinen Plan zurechtzulegen. Es war ein sehr einfacher Plan, bei dem kaum etwas schiefgehen konnte. Mach keine Dummheiten.
Einige Minuten später erhob sich Lauren von der Liege, las ihre Kleidung vom Boden auf und ging ins Haus, nicht ohne ordentlich die Terrassentür hinter sich abzuschließen. Karl trat an das Geländer hinter dem Pool und blickte hinab auf die gepflegten Rasenflächen unddie Yachten, die unten im Hafen vor Anker lagen. Das Mädchen tat ihm leid; das, was bevorstand, hatte sie nicht verdient. Er hatte sie zwar noch nicht im Umgang mit anderen erlebt, aber sie hatte ein freundliches Gesicht und war vermutlich eine nette Person.
Tja, aber die Welt war leider nicht nett.
Abenddämmerung über der Bucht. Am Nachmittag war dunstige Bewölkung aufgezogen, und nun verschwamm am Horizont das rosig glühende Wasser mit dem dunkelvioletten Himmel, an dem nur da und dort die hellsten Sterne blinkten.
Karl beobachtete, wie Ellis ins Schlafzimmer kam und achtlos an den drei großen Balkontüren vorbeiging, ohne die herrliche Aussicht aufs Meer eines Blickes zu würdigen. Warum dann überhaupt hier wohnen, überlegte Karl im Stillen.
Bei seinem Computer angelangt, schaltete Ellis ihn an und ging dann im Zimmer auf und ab, während der Rechner hochfuhr.
Auf dem Schreibtisch standen zwei gerahmte Fotos: eins von Lauren und eins von Ellis’ Frau. Karl hatte nirgendwo im Haus Hinweise gefunden, die auf die Anwesenheit der Frau hindeuteten. Dem Dossier zufolge, das ihm seine Vorgesetzten ausgehändigt hatten, befand sich die Ehe in Schwierigkeiten.
Karl griff unter das lange Anzugoberteil und legte die Hand um das, was er in Ellis’ Nachttisch gefunden hatte.
Auf dem Computerbildschirm leuchteten Programmsymbole auf. Ellis setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl.
Karl zückte die verchromte Pistole Kaliber .45, hielt sie Ellis an die Schläfe und drückte ab.
Sofort drangen von draußen die lauten Stimmen der Sicherheitsleute herein. Auch ein Aufschrei war zu hören, von Laurens Zimmer her. Ihm blieben nur noch Sekunden, um die Sache abzuschließen.
Karl hob Ellis’ Hand, legte die Finger des Toten um den Pistolengriff und feuerte ein zweites Mal, diesmal in das gerahmte Foto von Mrs. Cook. Nachdem er so für Schmauchspuren gesorgt hatte, ließ er die Hand mitsamt der Pistole fallen. Gleich darauf krachte die Tür auf, flog fast aus den Angeln, vier Sicherheitsleute mit Maschinenpistolen stürmten herein und sicherten in alle Richtungen.
«Zimmer klar.»
Einer rannte zum Badezimmer, ein zweiter zu dem riesenhaften Kleiderschrank.
«Badezimmer klar.»
«Kleiderschrank klar.»
Karl stellte sich an eine hintere Wand, fernab des Geschehens, und sah einfach zu. Draußen im Flur wurde die hysterisch kreischende, Antworten einfordernde Lauren von weiteren Wachleuten zurückgehalten. Die Männer im Zimmer sprachen über Headsets mit Kollegen, die draußen gerade das Grundstück abriegelten, wirkten aber schon erheblich ruhiger. Für sie stand nun fest, was sich abgespielt hatte.
Während er den Tumult aus sicherer Entfernung verfolgte, spürte Karl, wie sein Handy vibrierte. Er war verpflichtet, jederzeit dranzugehen, es sei denn, die Umstände ließen das nicht zu. Genau dies war jetzt der Fall.
Zehn Minuten später, während alle auf das Eintreffender örtlichen Polizei warteten, ging Karl auf den Balkon hinaus, kletterte über die Brüstung und sprang auf die Terrasse. Durchs Wohnzimmerfenster sah er, dass zwei Sicherheitsleute, darunter eine Frau, dort mit Lauren zusammensaßen, die Arme um sie gelegt hatten und beruhigend auf sie einredeten.
Er ging ans hintere Ende der Terrasse, wo er nach einem Sprung in zwei Meter Tiefe auf einem sanften Abhang landete, der zum Strand hinabführte.
Nach einigen hundert Metern fand er an der Küstenstraße eine leere Bank und setzte sich. Er holte sein Handy hervor und fand, ganz wie erwartet, eine SMS vor.
SOFORT ZURÜCK ZUM FLUGHAFEN, AUFTRAG NOTFALLS ABBRECHEN. NEHMEN SIE UNITED 820 NACH CHICAGO, DANN UNITED 71 NACH FAIRBANKS, AK. WAFFEN/INSTRUKTIONEN IN GELBEM LANDROVER MIT
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