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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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von mehreren Meilen Suchmannschaften abgesetzt hätten. Sie hätten selbstbewusst Präsenz gezeigt, als Macht, die auf heimischem Terrain operierte.
    Dieser einsame Hubschrauber hatte eher etwas von einem Einbrecher, der in einem fremden Haus herumstöberte.
    Weiter vorn beschrieb das Tal eine leichte Krümmung, und Travis sah mit Schrecken, dass das offene Gelände sich sogar noch weiter hinzog als zunächst sichtbar. Hier war er auch auf dem Hinweg entlanggewandert, konnte sich aber nicht mehr erinnern, wie es um schützende Vegetation bestellt war.
    Er erkannte die hohe, felsige Erhebung wieder, auf der er am ersten Abend seiner Wanderung die Dall-Schafe gesehen hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte er sich einige Meilen östlich davon befunden, mit Coldfoot im Rücken; jetzt befand er sich westlich davon, noch mitten im Gebirge. Er überschlug grob die Entfernungen und kamunter Berücksichtigung seines Tempos, das wesentlich geringer war als mit Rucksack, zu dem Ergebnis, dass sie bis Coldfoot noch mindestens zwanzig Stunden brauchen würden – die Eile, die ihn innerlich antrieb, schon eingerechnet.
    Schlafen kam selbstverständlich nicht in Frage. Paiges Überleben hing davon ab, dass ihre Infektion so bald wie möglich ärztlich behandelt wurde. Es kam auf jede einzelne Stunde an.
     
    Während er dahinstapfte, dachte er über das nach, was sie ihm auf der Lichtung erzählt hatte.
    Tangent. Das Portal. Das Flüstern.
    In seiner Jackentasche befand sich der Streifen aus transparentem Kunststoff, den er bei einem der erschossenen Quadfahrer gefunden hatte. Der Schlüssel zum Flüstern. Was genau würde das Flüstern anstellen, wenn es per Schlüssel aktiviert wurde? Paiges Worte fielen ihm wieder ein:
    Nicht wir haben dieses Ding konstruiert. Nicht wir Menschen
.
    Es fiel ihm schwer, die genaue Tragweite dieser Worte zu erfassen, und zwar nicht, weil er ihr nicht glaubte. Ganz im Gegenteil.
    Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, weil Paige im Schlaf etwas vor sich hin murmelte. Keine Worte, bloß einen verängstigten Laut, hilflos und bittend. Nach wenigen Sekunden war sie wieder still, doch Travis spürte die weiter anhaltende Spannung in ihren Muskeln und sah, wie ihre Augen hinter den geschlossenen Lidern hin- und herhuschten. Wie lange mochte es dauern, bis sie wieder etwas anderes träumen konnte als Albträume?
    «Sie sind in Sicherheit», sagte er leise. «Die können Ihnen nichts mehr tun.»
    Wider Erwarten wirkte das sogar. Ihre Anspannung ließ umgehend nach, und sie schlief ruhig weiter, hoffentlich traumlos jetzt.
     
    Er zwang sich, sie nicht zu oft anzuschauen.
    War bemüht, nicht ihre langen Wimpern wahrzunehmen, die Ponysträhnen, die ihr locker in die Stirn hingen, oder auch die blassen, kaum sichtbaren Sommersprossen auf ihrer Nase. Musste immer wieder den Gedanken verscheuchen, dass er sich – trotz des Brennens in seinen Muskeln, die sich anfühlten, als würde nicht Blut, sondern Batteriesäure hindurchströmen – seit fünfzehn Jahren nicht mehr so gut gefühlt hatte.
    Sie war etwas Besonderes. Das stand mal fest.
    In gewisser Weise war sie alles. Alles, was er von seiner Zukunft nicht erwarten durfte. In den zwölf Monaten seit seiner Haftentlassung hatte er nie auch nur daran gedacht, wieder etwas mit einer Frau anzufangen. Er hatte fünfzehn Jahre lang lernen müssen, jeden Gedanken daran zu verdrängen, was ihm alles entging. Das war ihm ziemlich gut gelungen, und seine Freiheit hatte wenig Grund für eine Umorientierung geboten. Körperlich war er zwar nicht mehr hinter dickem Stacheldraht eingesperrt, aber eine Frau wie Paige war für ihn dennoch unerreichbar.
    Nicht, dass er für alle Zeit allein bleiben müsste. Es gab Mittel und Wege, die Scharte seiner Vergangenheit auszuwetzen, und er arbeitete daran. In dem Jahr, seit er in Fairbanks war, hatte er sich als Bauarbeiter verdingt, bei einem Bauunternehmen. Er hatte hart gearbeitet,viel gelernt und sich obendrein Einblick in die geschäftlichen Abläufe verschafft. Und er hatte fleißig gespart. Über kurz oder lang könnte er sich selbständig machen und seine eigene kleine Firma gründen, zunächst nur für mittelgroße Projekte, Anbauten und dergleichen. Wenn alles gut lief, würde er in fünf Jahren einfache Eigenheime hochziehen, und letzten Endes – vielleicht noch einmal fünf Jahre später – auch Nobelvillen für gehobene Ansprüche. Irgendwann in diesem Zeitraum, wenn seine Haftzeit lange genug zurücklag und er auf

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