Die Pforte
sagt: «Was wollen Sie, Detective?»
Travis hört die Verachtung, die in dem letzten Wort mitschwingt. Auch diese hat er mehr als verdient.
«Was hat die Polizei Ihnen erzählt?», fragt Travis.
Der Blick des Mannes verhärtet sich. «Warum fragst du sie nicht selbst? Die vertrauen dir doch, richtig?»
Travis sagt nichts. Er wartet auf die Antwort auf seine Frage.
«Es wird gegen niemanden Anklage erhoben», sagt Mr. Price schließlich mit einer Stimme voller Hass, Qual und Verzweiflung.
«Wieso nicht?»
«Aus Mangel an Beweisen. Man hat ja nicht mal ihre Leiche gefunden. Bloß ihren Wagen. Aber sie haben gesagt, es war so viel –» Dem Mann versagt die Stimme. Erst nach einem Weilchen vermag er weiterzureden. «Es war so viel Blut im Wagen, ihr Blut, das kann ein Mädchen ihrer Größe unmöglich überlebt –»
Erneut versagt ihm die Stimme. Er senkt den Blick. Seine Unterlippe zittert heftig.
Aber Mr. Price redet weiter, trotz seines Zitterns. «Sie hat denen nichts getan. Das ist allein deine Schuld. Das hat alles mit dir angefangen.»
Travis nickt wortlos. Dann tritt er einen Schritt näher und sagt leise: «Es wird auch mit mir aufhören.»
Mr. Price hebt den Blick und schaut ihn an.
«Ich war heute Abend nicht hier», sagt Travis. «Können wir uns darauf einigen, Mr. Price?»
Emilys Vater starrt ihn bloß an. Sekunden vergehen. Er versteht, was Travis damit andeuten will. Er versteht, was er vorhat. Kurz überlegt er noch, was er antworten soll, als gäbe es da wirklich eine Wahl. Dann aber, weil Emily seine einzige Tochter war, weil sie bei ihm Laufen gelernt, ihre ersten wackligen Schrittchen in seine ausgebreiteten Arme gemacht hat, weil sie als Teenager immer auf dem Sofa neben ihm eingeschlafen ist, an seine Schulter geschmiegt, wenn abends im Fernsehen die
Tonight Show
lief, und weil er heute schon dreimal in ihrem Zimmer war und sich ihr Kopfkissen ans Gesicht gedrückt hat, um den letzten Rest ihres Geruchs, der noch daran haftet, einzuatmen, nickt er bloß.
«Okay», sagt Travis.
Mr. Price schließt die Tür, und Travis wendet sich zum Gehen. Zurück in die Nacht und den Nebel, und seine Hand legt sich wie von selbst um die Pistole Kaliber .32 in seiner Jackentasche.
11
Die letzten tausend Meter bis zum Highway legte Travis im Laufschritt zurück. Seine Knie fühlten sich an, als würden sie statt über Knorpelgewebe über Glassplitter scheuern. Durch die großen Fenster der Gaststätte des
Brooks Lodge and Fuel Depot
sah er ein halbes Dutzend Leute, vielleicht die Stammgäste, die sich ein Baseballspiel auf dem Fernseher über dem Tresen anschauten.Es war acht Uhr abends, und die schrägstehende Sonne sandte ihren rötlichen Schein von Nordwesten her.
An der Straße, etwa dreißig Meter vor dem Restaurant, blieb er stehen. Nach dem Gerüttel auf dem letzten Wegabschnitt regte sich Paige nun leicht in seinen Armen, kam aber nicht zu Bewusstsein. Seit zwei Stunden ging ihr Atem zunehmend rasselnd. Hin und wieder holte sie tief Luft und klang kurz, als würde sie ersticken, ehe sie normal weiteratmete.
Travis musterte die Gäste, so gut das aus dieser Entfernung eben ging. Lauter harmlose Leute offenbar – soweit er das beurteilen konnte.
Da abzusehen war, und zwar schon lange im Voraus, dass sie irgendwann hier in Coldfoot auftauchen würden, war davon auszugehen, dass ihnen hier Gefahr von Paiges Feinden drohte. Von Vorteil war einzig, dass der Ort so winzig klein war: Der Feind konnte sich unmöglich irgendwo auf die Lauer gelegt haben, ohne Aufsehen zu erregen. Es gab hier keine riesigen Parkplätze, auf denen sich ein Lieferwagen bequem verbergen ließ. Und auch keine Wohnviertel mit irgendwelchen Seitenstraßen. Der einzige Ort, an dem Fremde sich ein paar Stunden aufhalten konnten, ohne Verdacht zu erregen, war das Restaurant des Rasthofs, doch falls die Komplizen der Typen in dem Lager ebenfalls Ausländer waren, die nur gebrochen Englisch sprachen, würden sie auf die Dauer nicht unbemerkt bleiben.
Klar, vermutlich konnten sie auch weniger auffällige Leute schicken, dazu hatten sie jetzt anderthalb Tage Zeit gehabt, aber trotzdem war Coldfoot einfach kein Ort, an dem Fremde sich länger aufhielten. Fernfahrer, die unterwegs nach Prudhoe Bay waren, legten hier einePause ein, um etwas zu essen, auch eine Reisegruppe mochte gelegentlich mal hier übernachten, doch länger blieb hier niemand. Coldfoot war nur ein Haltepunkt an einer langen Straße, die
Weitere Kostenlose Bücher