Die Pforte
könnten. Dass uns die Entzifferung keinen Schritt weiterbringen würde, hätte ich nie vermutet.»
Sie ließ ihren Blick über der Stadt umherschweifen. Als würde sie damit rechnen, dass hier jetzt jeden Augenblick die Hölle losbrechen würde. Vielleicht ja zu Recht.
«Ich weiß nicht mal, was wir jetzt tun sollen», sagte sie. «Das war unser einziger Plan. Jetzt … könnten wir genauso gut wieder abziehen, aber was soll das bringen. Falls Pilgrim sein Ziel erreicht, sind wir sowieso nirgendwo mehr sicher. Hierbleiben fühlt sich besser an, so als würden wir etwas tun, nicht wahr? Aber tun können wir im Grunde gar nichts. Zweiundvierzig Scharfschützen in diesem Gebäude, und trotzdem können wir ihn nicht aufhalten. Nicht, solange er das Flüstern hat. Dann weiß er immer, was er tun muss.»
Längeres Schweigen senkte sich herab. Nur vereinzelt waren aus dem nächtlichen Zürich Lebenszeichen zu vernehmen.
«Verraten Sie mir, was noch schlimmer ist als die Atombombe im achten Stock», sagte Travis schließlich.
Sie schien fast dankbar für die Gelegenheit, über etwas anderes reden zu können als die Sackgasse, in der sie gelandet waren.
«Wir glauben nicht, dass die Bombe das einzige Abwehrsystemhier ist», sagte sie. «Nicht mal, dass sie die
Haupt
abwehrmaßnahme ist.»
Travis sah sie fragend an.
«Der Zweck der Bombe ist eindeutig», sagte sie.
«Die Kästen dürfen nicht angerührt werden», sagte Travis. «Und auch die Türen im achten Stock nicht.»
Sie nickte. «Sogar die Decke im siebten Stock ist mit Sensoren präpariert, die uns daran hindern, auf diesem Weg in den achten Stock zu gelangen. Ebenso die Außenmauern. Und das Dach. Und die Fenster in dem Stockwerk. Die von innen mit Farbe überstrichen sind. Den wirklichen Zweck dieses Gebäudes aber finden wir erst heraus, wenn wir in diese Kästen und hinter diese Türen schauen, und das will Pilgrim nicht. Also … das war’s. Sehr einfach, oder?»
«Ja, stimmt», sagte Travis. «Aber?»
«Aber trotzdem geht das nicht auf. Von der Logik her. Es ist wie bei Geiselnahmen mit nur einer Geisel. Wer nur eine Geisel in seiner Gewalt hat, kann höchstens leere Drohungen ausstoßen, weil er weiß, dass er zwar die Geisel töten, aber seine Forderungen damit nicht durchsetzen kann. Klar, es kommt ständig vor, dass Kriminelle nur eine Geisel nehmen, aber das sind eben Idioten. Pilgrim ist aber kein Idiot. Nie und nimmer würde er dieses Haus nur durch eine einzige Abwehrmaßnahme sichern, die er gar nicht wirklich einsetzen will. Etwas, von dem ja auch das Haus vernichtet würde, obwohl all seine Pläne davon abhängen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich würde die Bombe explodieren, wenn wir irgendwie ihre Zündung auslösen. Aber Pilgrim würde damit rechnen, dass wir sehr vorsichtig sind. Und er würde, glaube ich, noch mit etwasanderem rechnen. Er
müsste
sogar damit rechnen, rein vorsichtshalber.»
Nach kurzem Nachdenken begriff Travis, worauf sie hinauswollte. «Er wäre sich darüber im Klaren, dass Tangent irgendwann in der Lage sein könnte, die Bombe zu umgehen, und zwar mit einer Portals-Technologie, die lange nach seinem Verschwinden aus Border Town aufgetaucht ist.»
«Genau. Etwas, das gestern aufgetaucht sein könnte. Oder wann auch immer. Er kann nie wissen, was für Wunderdinge uns auf einmal zur Verfügung stehen könnten. Etwas, das uns in die Lage versetzt, durch Wände hindurchzuschauen. Oder durch sie hindurchzugelangen. Oder angereichertes Uran in Blech zu verwandeln. Wer weiß, nicht wahr?»
Travis fragte erst gar nicht, ob derlei tatsächlich schon aufgetaucht war. Offensichtlich nicht. Trotzdem hatte sie natürlich recht.
«Sie meinen, wenn Pilgrim schon so vorsichtig war, das Gebäude mit Drucksensoren und einer Atombombe zu sichern», sagte Travis, «dann hat er auch Vorsorge getroffen, das Gebäude für den Notfall noch auf andere Weise zu sichern.»
«Mit einer weiteren Geisel», bestätigte Paige. «Eine, die er jederzeit opfern würde. Und genau das jagt mir Angst ein. Selbst wenn wir dahinterkämen, was es mit diesem Haus genau auf sich hat, und wir dann versuchen würden, es unschädlich zu machen, würden wir auf die zweite Abwehrmaßnahme stoßen, was auch immer das sein mag.» Sie ließ ihren Blick über die nebelverhangene Stadt schweifen. Nur ein schwaches Schimmern zwischen den erleuchteten Straßen deutete an, wo genausich der Fluss nach Nordwesten hinzog. «Aber von diesem Problem
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