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Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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denn?»
    Wieder das Gefühl der Steinschleuder, die unaufhaltsam weiter gespannt wurde. Es verschlimmerte sich mit jeder Minute.
    Die meiste Zeit spähten sie in die Nacht hinaus, warfenaber zwischendurch, mal einzeln, mal zusammen, immer wieder einen Blick auf die Zeilen auf ihrem PDA. In Border Town stimmte man Travis im Übrigen einhellig zu: Die Sätze waren, vom Inhalt her, sinnfreier Unfug.
    Nachdem es länger still geblieben war, sagte Travis: «Ein paar Vermutungen müssen Sie doch zumindest haben.»
    Sie sah ihn im Schein des Displays an und lächelte. «Habe ich nicht, Ehrenwort.»
    «Nein, nicht wegen der Zeilen», sagte er. «Hinsichtlich der Waffe, meine ich. In vier Jahren muss Tangent doch die eine oder andere Theorie entwickelt haben, worin ihre Wirkung besteht. Wenn schon nicht durch Analyse dieses Kabelsalats, dann doch zumindest durch die Überlegung, was Pilgrim tun müsste, um Tangent auszuschalten. Er müsste die Verteidigungsanlagen in Border Town sabotieren, richtig? Und zwar von hier aus, fünf- oder sechstausend Meilen weit entfernt.»
    «Ein paar Vermutungen haben wir schon», sagte sie. «Und zwar ausgehend von der These, dass dieses Gebäude eine Art Richtantenne darstellt, die Border Town selbst aus dieser Entfernung ins Visier nehmen könnte. Was sie ausrichten könnte, wissen wir natürlich nicht. Vielleicht tötet sie Menschen, lässt physische Strukturen aber unbeschädigt, wie eine Neutronenbombe etwa. Vielleicht löst sie auch eine Reaktion in bestimmten Materialien aus, dergestalt, dass die Verteidigungsanlagen in Border Town zeitweilig ausgeschaltet werden. Das ist die eine Möglichkeit.»
    «Gibt es noch mehr?», fragte Travis.
    «Ja, noch eine weitere.»
    «Und die wäre?»
    «Dass die Waffe mit der Übernahme von Border Town gar nichts zu tun hat. Dass er diese Übernahme plant, nehmen wir bloß an, weil es für ihn einfach logisch wäre. Border Town wäre ein Quell unermesslicher Macht, wenn er den Ort unter seine Kontrolle bekäme, und stellt für ihn die größte Gefahr dar, solange er ihn nicht kontrolliert. Sowie natürlich die Pforte selbst. Natürlich würde er das alles unter seine Kontrolle bringen wollen. Von der Logik her ist das stimmig. Aber was wissen wir schon? Vielleicht folgt sein Denken gar keiner gängigen Logik. Vielleicht dient die Waffe also einfach nur dazu, eine Katastrophe auf der ganzen Welt auszulösen. Vielleicht rottet sie neunundneunzig Prozent der Menschheit aus und lässt nur eine verstreute Restbevölkerung am Leben, die er dann umso leichter beherrschen kann.»
    «Sie scheinen eher die zweite Möglichkeit für plausibel zu halten», sagte Travis.
    Sie schaute hinab ins Nebelmeer. «Es gibt Indizien, die darauf hindeuten.»
    Er sah sie gespannt an.
    «Wir wissen, dass Pilgrim dieses Haus 1995 gekauft hat, wenige Monate nach seinem Verschwinden aus Border Town. In den folgenden Jahren häuften sich in Zürich zunehmend allerlei seltsame Phänomene, und das hält bis heute an. Die Selbstmordrate hat sich verdreifacht. Es kommt viermal so häufig zu Festnahmen wegen häuslicher Gewalt. Gewisse seltene Krebsarten treten zwischen fünf- und siebenmal so häufig auf wie früher. All das haben wir natürlich erst rückblickend festgestellt, nachdem wir das Gebäude vor vier Jahren in unsere Gewalt gebracht haben. Noch unheimlicher wird es, wenn man die Schauplätze all dieser Vorkommnisseauf einer Karte markiert und sieht, wie sie rund um dieses Gebäude verteilt sind. Wenn man nicht wüsste, wonach man suchen muss, würde es einem vermutlich gar nicht auffallen   … Aber wenn man es mit eigenen Augen vor sich sieht, weiß man, dass das keine Einbildung ist. Von diesem Haus an der Theaterstraße sieben geht bereits jetzt eine unheilvolle Wirkung aus. Die vermutlich nur ein kleiner Vorgeschmack darauf ist, welche Folgen es für die Welt haben wird, falls Pilgrim sich durchsetzt und seine Waffe ernsthaft zündet.»
    Travis erwiderte ihren Blick kurz und spähte dann wieder hinaus ins Dunkel. Auf der anderen Flussseite flackerte lautlos ein weiteres Blaulicht durch den Nebel, wieder ein Krankenwagen.
    «Würden Sie es wirklich über sich bringen, die Atombombe da oben zu zünden, wenn es hart auf hart kommt?», fragte er.
    Sie antwortete nicht sofort. Dann aber sagte sie mit fester, entschlossener Stimme: «Ja.»
    «In dem Fall», sagte er, «habe ich eine Idee.»

25
    «Ich höre», sagte sie.
    «Zuerst muss ich noch etwas wissen.» Er warf einen

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