Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pforte

Die Pforte

Titel: Die Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
Vom Netzwerk:
Blick auf das Draht- und Kabelgewirr, das den gesamten Raum hinter ihnen ausfüllte und nur diesen schmalen Durchgang am Fenster frei ließ. «Tangent hat doch wohl all diese Gerätschaften und Schaltungen, soweit zugänglich, lückenlos untersucht, oder?»
    «Alles, ohne Ausnahme. Jeden Anschluss, jeden Prozessor, jede Jumpereinstellung.»
    «Gibt es auch Kabel, die nicht eingestöpselt sind?»
    Sie sah ihn verwirrt an.
    «Was ich meine, ist: Gab es vielleicht in irgendeinem Stockwerk eine Ecke, wo es so aussah, als wäre die Arbeit nicht abgeschlossen worden? Lose herabbaumelnde Kabel, herumliegende Leiterplatten, Werkzeug auf dem Boden? So was in der Art?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    Travis dachte kurz nach. «Als Tangent 2005 hier aufgetaucht ist, war er drei Stunden davor, den Laden zu aktivieren.»
    Sie nickte.
    «Drei Stunden, weil er noch drei Stunden gebraucht hätte, um alles fertigzustellen, richtig?»
    «Das war immer unsere Vermutung, ja.»
    «Die Arbeit an diesem technischen Durcheinander war also so weit abgeschlossen, und auch die fünf Stahlkästen waren bereits zugeschweißt, sprich, er hatte ihren Inhalt entsprechend präpariert. Bleibt nur noch der achte Stock übrig, hinter den verschlossenen Türen. Da oben hatte er also noch drei Stunden Arbeit zu erledigen.»
    Sie nickte wieder. Zu diesem Schluss war auch Tangent schon gelangt. Was er vorausgesetzt hatte.
    «Als Sie dieses Gebäude gestürmt haben, wo haben Sie da das Flüstern gefunden?»
    «Im sechsten Stock, in einem Schutzbehälter.»
    Travis überlegte, versuchte sich den genauen Ablauf der Geschehnisse zu vergegenwärtigen. Versuchte sich in Pilgrims Lage hineinzuversetzen, an jenem Tag, alser Hals über Kopf zur Flucht gezwungen wurde. Dieser Denkprozess – sich in einen anderen hineinzuversetzen, mental seine Schritte nachzuvollziehen – fühlte sich so vertraut an wie ein alter Baseballhandschuh, den er seit fast zwanzig Jahren nicht mehr übergestreift hatte. Genau dafür hatte er früher ein Talent, ungeachtet seiner dubiosen Motivation.
    «Na gut, wir haben den 17.   Mai 2005», sagte er. «Pilgrim ist drei Stunden von der Fertigstellung der Waffe entfernt. Er arbeitet daran. Er weiß, dass Tangent ihm auf der Spur ist, weil Sie in den vorangegangenen Wochen einige seiner Leute ausgeschaltet haben. Dass Tangent bereits im wahrsten Sinne des Wortes im Anmarsch ist, ahnt er natürlich nicht, sonst hätte er sich schon früher abgesetzt. Er nutzt also zu diesem Zeitpunkt nicht das Flüstern, denn es hätte ihn ja sonst gewarnt. Was auch ganz plausibel erscheint. Immerhin werkelt er seit zehn Jahren an dem Laden hier, da weiß er inzwischen vermutlich auswendig, was noch zu erledigen ist.»
    «In Ordnung», sagte Paige.
    «Er ist also oben im achten Stock und arbeitet. Das Flüstern befindet sich in seinem Behälter im sechsten Stock. Als er die Zwei-Minuten-Warnung erhält, dass Tangent im Anmarsch ist, tut er also was?»
    «Er verschließt die Türen im achten Stock, schiebt noch rasch die Drucksensoren in die Türfugen und verlässt dann fluchtartig das Gebäude.»
    «Die Zeit dafür nimmt er sich also noch», sagte Travis. «Aber für die paar Sekunden, auf dem Weg nach unten noch rasch im sechsten Stock das Flüstern an sich zu nehmen, reicht es nicht mehr? Den Gegenstand, der für ihn wichtiger ist als seine eigenen Sinnesorgane?»
    «Ja, das ergibt keinen Sinn, das sehen wir auch so», sagte Paige. «Weshalb wir auch nicht glauben, dass er oben im achten Stock war, als er gewarnt wurde. Wir gehen davon aus, dass er unten im Erdgeschoss war, aus einer Reihe von Gründen. Dort befindet sich neben der Küche auch das einzige funktionierende WC im Haus.»
    «Dann erscheint das Ganze noch unglaubhafter», sagte Travis.
    Zum ersten Mal im Verlauf dieses Gesprächs schien Paige verunsichert. Gespannt sah sie ihn an.
    «Er ist unten im Erdgeschoss. Er bekommt den Anruf. Verflucht, die Leute von Tangent rücken an. Sind schon so nahe, dass er womöglich geschnappt wird, selbst wenn er sofort die Flucht ergreift. Dazu, in den sechsten Stock hochzulaufen und das Flüstern zu holen, reicht schlicht die Zeit nicht mehr. Also muss er die schwierigste Entscheidung seines Lebens treffen. Er lässt das Flüstern zurück und haut ab.»
    «Richtig.»
    «Wie genau also werden die Türen im achten Stock nochmal versperrt und mit Drucksensoren gesichert?»
    Sie zuckte die Achseln. «Das muss er erledigt haben, ehe er nach unten kam. Eine

Weitere Kostenlose Bücher