Die Pforten der Ewigkeit
Meffridus«, quakte Everwin, dessen Hirn vor Schreck ein paar Minuten in der Zeit zurückgehüpft war, »schön, dass du gleich kommen konntest …«
Der füllige Notar spazierte herein und wirkte wie üblich so, als ob der Raum ihm allein gehöre. Zu Everwins Verdruss folgte Constantia ihm auf den Fuße. Er vermied es, zu ihrem Vater zu blicken. Dass eine Frau in den Ratssaal kam, war unerhört (gut, die Klosterschwester war da, aber das war ja keine wirkliche Frau), und noch dazu eine, die in offener Sünde lebte, seit ihr Mann von Wegelagerern umgebracht worden war. Auch wenn Constantias Vater einer der Ratsherren war – es war ein Affront, und umso schlimmer, weil man nichts dagegen tun konnte. Everwins Fantasie reichte nicht aus, sich Meffridus Chasteloses Beweggründe vorzustellen, aber es war Tatsache, dass er neuerdings überall, wo er auftrat, seine Mätresse Constantia dabeihatte. Wenn er ein anderer Mann gewesen wäre, hätte Everwin fast vermutet, er tat es, um die Wizinstener dazu zu zwingen, seiner Bettgefährtin Respekt entgegenzubringen, indem er ihnen ständig unter die Nase rieb, wessen Bett sie teilte; aber das hätte geheißen, dass Rudegers Witwe dem Notar etwas bedeutete, und sich das vorzustellen hätte nicht einmal die Fantasie eines Minnesängers gereicht.
Constantia trieb die Schamlosigkeit auf die Spitze: Sie trat neben den Baumeister und studierte den Plan, als verstünde sie etwas davon. Wilbrand, der gerade erklärte, wie er das Gefälle der Wiese im Norden der Stadt ausnutzen wollte, um sie innerhalb weniger Tage trockenzulegen, warf ihr einen Seitenblick zu und fuhr dann deutlich unkonzentrierter in seinem Vortrag fort. Schwester Elsbeth nickte Meffridus zu.
»Der Notar war so freundlich, das Kloster vor ein paar Tagen aufzusuchen«, sagte sie. »Ich habe ihm die Pläne gezeigt, und er hat großes Verständnis dafür gehabt.«
»Mein bescheidener Vorschlag wäre, den Schwestern das Stück Land zu überlassen«, erklärte Meffridus, ohne jemanden im Besonderen anzublicken. »Natürlich ist es die Entscheidung des Rats. Mehr kann ich leider nicht für Euch tun, Schwester.«
Wolfram Holzschuher war der Erste, der die Weisheit des Vorschlags erkannte. »Der Herr Notar hat recht«, sagte er. »Ich hätte ohnehin dafür gestimmt.«
»Wizinsten kann frisches Blut brauchen, und der Klosterbau wird es in die Stadt bringen«, erklärte Lubert Gramlip.
»Äh … sollen wir abstimmen?«, fragte Everwin.
Der Rat nickte beflissen. Etliche hoben die Hände, noch bevor Everwin fragen konnte, ob Handzeichen für Ablehnung oder Zustimmung gegeben werden sollten.
»Dann … äh … wäre das geklärt. Herzlichen Glückwunsch, Schwester … äh … äh … Ortrud«, sagte Everwin. Erst jetzt wagte er, den Blick zu ihr zu heben.
»Elsbeth«, sagte sie, doch das Lächeln war von ihrem Gesicht verschwunden. Zwischen ihren Brauen stand eine Falte. Langsam wandte sie sich um und musterte Meffridus, der der Versammlung den Rücken zugekehrt hatte und zur Fensteröffnung hinausblickte, als wolle er demonstrieren, dass er überhaupt nichts mit der Abstimmung zu tun hatte. Der Baumeister rollte den Plan zusammen und schien zu überlegen, wie er am besten ein Gespräch mit Constantia anfangen konnte.
»Ja …«, stotterte Everwin. »Äh … Elsbeth. Natürlich.« Wie es nicht anders sein konnte, untermalte ein quäkender Furz sein letztes Wort. Er setzte eine resignierte Miene auf.
»Gott wird es Euch vergelten, meine Herren«, sagte Schwester Elsbeth. Sie verbeugte sich und stapfte zur Falltür, die Meffridus und Constantia offen gelassen hatten. Meister Wilbrand folgte ihr mit einiger Verzögerung, weil das Pergament, auf dem seine Pläne gezeichnet waren, alt und störrisch war und sich schlecht zusammenrollen ließ.
Everwin atmete langsam aus und ließ den Blick an seinen Ratskollegen entlangwandern. Zu spät fiel ihm ein, dass sie nun die Pläne für das eigentliche Kloster, dessen Bauarbeiten nächstes Frühjahr beginnen sollten, nicht gesehen hatten. Die Ratsherren zupften an ihren Gewändern, oder sie pulten Dreck unter den Fingernägeln hervor. Nur Johannes Wilts Augen sahen etwas an; sie starrten auf Meffridus’ Rücken. Den Horror, der in ihnen zu sehen war, spürte auch Everwin, als er erkannte, dass Johannes immer noch die Hand gehoben hatte. Er schien abgestimmt zu haben, ohne es zu merken, und nun hatte er vergessen, dass sein Arm weiterhin nach oben gereckt war. Es war ein
Weitere Kostenlose Bücher