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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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mehr an sich heran-, ihn von der Oberfläche ihres Blaus abgleiten ließen, als habe eine Eisschicht das Funkeln überzogen, erfroren, erstickt. Sie erinnerte sich an die Angst, die sie plötzlich in ihrem Herzen empfunden hatte, an die Erkenntnis, dass diese Augen auf einmal auf der Hut waren, auf der Hut vor Guda, auf der Hut vor der Welt, auf der Hut vor sich selbst. Sie hörte eine Stimme aus der Vergangenheit. Es war ihre eigene Stimme, und als sie sie jetzt wieder hörte, wurde ihr voller Bestürzung klar, wie verängstigt sie geklungen hatte.
    Constantia, Liebling, du bist ja vollkommen zerzaust!
    Es geht mir gut, Mama.
    Und dein Kleid ist da eingerissen.
    Ich bin an einem Zweig hängen geblieben.
    Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nicht durchs Gebüsch schlüpfen wie ein Bauernbub.
    Ja, Mama.
    Guda wusste jetzt, was sie in den Augen ihrer Tochter gesehen hatte, an jenem Tag vor fünf Jahren, der nun wieder aus der Erinnerung aufgetaucht war und, wenn sie ehrlich sein wollte, stets dicht unter der Oberfläche darauf gewartet hatte, wieder auftauchen zu können. Wie in den Augen der jungen Klosterschwester war es etwas, das ihr eine Botschaft sandte; nur war es nicht ruhig gelegen, sondern hatte gezuckt und sich gewunden und sich nach ihr gereckt, aber es hatte das Gleiche gerufen: Frage mich! Frage mich!
    Guda hatte die Frage gekannt, die sie hätte stellen können, damals so gut wie heute.
    Sie hätte fragen sollen: Liebling, was haben sie dir angetan?
    Sie hatte zu viel Angst gehabt. Sie hatte Angst gehabt, dass die Antwort das Leben, das so schön gleichmäßig verlief, aus der Bahn werfen würde. Sie hatte Angst gehabt, dass sie Licht auf etwas werfen würde, das hässlich und gemein in der Dunkelheit hockte und das unerträglich wäre, würde man es erblicken. Sie hatte Angst gehabt, die Erkenntnis zuzulassen, dass dunkle Dinge einfach geschahen, und dass sie nicht nur anderen Leuten geschahen, sondern einem selbst und denen, die man über alles liebte.
    Sie hatte nicht gefragt.
    Sie fragte auch heute nicht. Sie warf sich herum und floh vom Klostertor, floh vor den Augen der jungen Nonne und der Bitte in ihnen, zu fragen, zu teilen, das Geheimnis zu enthüllen und die Bürde zu tragen; floh schluchzend und wie vom Teufel gehetzt in ihr Haus, schlug die Türe hinter sich zu und rannte an den bestürzten Blicken ihres Mannes vorbei ins Obergeschoss, warf sich vor dem Herrgottswinkel im Schlafzimmer auf die Knie, rang die Hände und raufte sich die Haare und betete und versuchte die Fragen zu unterdrücken, die sich in ihrem eigenen Herzen formten – die Frage, ob alles, was geschehen war, ihre Schuld war, weil sie ihre Tochter nicht gefragt hatte, auf welche Weise die Dunkelheit der Welt an ihre Kinderseele herangekommen war; und die Frage, weshalb der Herrgottswinkel in den Häusern immer an der dunkelsten Stelle der Räume lag und warum man seine Gebete an einen gemarterten Leib in den Schatten richtete, wenn man doch auch in Gottes Licht schauen könnte.
    3.
WIZINSTEN
     

     
    So hatte Constantia es sich vorgestellt: dass Meffridus ein brutales Schwein war, das Freude daran fand, sie zu schlagen und jedes Beilager in eine Vergewaltigung zu verwandeln; ein perverser Schuft, der Dinge von ihr verlangte, die eine abgetakelte Gossenhure während einer Hungersnot sich zu tun geweigert hätte; ein höhnischer Sklaventreiber, der sich an ihrer Demütigung weidete und von ihr verlangte, ihm Essen aufzutragen, nachdem er sie mit größtmöglicher Grobheit gedeckt hatte, und sie hungrig dabei zusehen ließ, wie er sich den Wanst vollschlug …
    »War es schön für dich?«, fragte Meffridus und richtete sich auf einem Ellbogen auf, um Constantias nackten Körper im Licht der Tranlampe betrachten zu können.
    »Ja«, sagte Constantia, und wenn es gelogen war, dann nur, weil eine andere Frau als sie, eine, die dem Akt der Liebe Vergnügen hätte abgewinnen können, tatsächlich befriedigt gewesen wäre.
    In Wahrheit verhielt es sich so, dass Meffridus all das, was Constantia von ihm erwartet hatte, nicht war. Er übte seine kalte Herrschaft über die Stadt im Verborgenen aus, mit leisen Worten und erbarmungsloser Konsequenz, er ordnete Morde an oder verschacherte Menschen in ein lebenslanges Elend, aber eines musste sie ihm lassen – er war ihr gegenüber kein Ungeheuer. Er versuchte, ihr Freude zu bereiten.
    Es beflügelte ihren Hass noch mehr, dass sie in Wahrheit gar keinen persönlichen Grund hatte,

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