Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
erschreckender Anblick, und umso erschreckender, wenn man sah, wie mühsam Johannes seine Blicke von Meffridus’ Rücken löste und sich zu seiner Tochter umwandte. Gefühle huschten über sein Gesicht wie Wolkenfetzen bei einem Sturm.
    »Äh …«, begann Everwin.
    Meffridus wandte sich vom Fenster ab. »Die Ratsversammlung ist beendet«, sagte er leise. »Wenn ich diesen Vorschlag machen darf.«
    2.
WIZINSTEN
     

     
    Immer öfter fühlte Guda Wiltin sich zu dem alten Klosterbau hingezogen. Es gab Augenblicke, da schien sie wie aus einem Traum zu erwachen und fand sich vor dem offenen Tor wieder, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. Die Nonnen, die wie die Berserker schufteten und sich nicht einmal scheuten, in die alten Obstbäume zu klettern und diese auszuschneiden, nickten ihr jedes Mal zu, richteten aber nie das Wort an sie. Guda wusste nicht, ob sie darüber erleichert oder verdrossen sein sollte. Sie wusste auch nicht, was sie hätte sagen sollen, wenn eine der Frauen sie angesprochen hätte. Eure Vorgänger haben das Glück mit fortgenommen? Das war wahrscheinlich nicht die richtige Anrede für Klosterschwestern, aber dennoch fühlte Guda, dass es zutraf.
    Alle Zukunftspläne zerstoben, der Mann ihrer Tochter von Räubern erschlagen und die Tochter die Matratze des Mannes, der durch die Stadt schritt wie der Teufel höchstselbst und sie alle in seinen Klauen hielt. Manchmal fühlte sie Wut auf Rudeger, dessen Ehrgeiz an ihrem Unglück schuld war, dann sagte sie sich, dass man den Toten nicht übel nachreden durfte, und ihre Wut suchte ein neues Ziel. Meistens richtete sie sich gegen ihren Mann. Guda wusste, dass Johannes am wenigsten dafürkonnte – er hatte Rudeger sogar davon abgeraten, sich zu verschulden, bevor er nicht die Kontrakte mit den Nuorenbercer Gerbern in der Tasche hatte – aber wen sollte sie sonst hassen? Ihre Tochter? Sie konnte doch nicht mit Zorn im Herzen gegen ihr eigenes Fleisch und Blut herumlaufen, welch schlimme Sünde war das denn? Und Meffridus Chastelose, der ihre Tochter zu einem Leben in Schande verurteilte? Aber die Angst vor dem Notar ließ nicht einmal zu, Hass gegen ihn zu empfinden, und außerdem wäre es sein Recht gewesen, sie alle in den Schuldturm zu werfen, nachdem die Nachricht von Rudegers Tod die Stadt erreicht hatte. Stattdessen hatte er sich gnädig erwiesen – die Gnade des Fuchses, der die Gans nicht tötete, aber sich dafür von ihr über den See befördern ließ! – und die Sünde war genauso groß, gegen einen Menschen Hass zu empfinden, dem man eigentlich dankbar sein musste. Im Wesentlichen aber und ohne dass es ihr bewusst wurde, hasste Guda Wiltin sich selbst.
    Unvermittelt wurde ihr klar, dass jemand sie beobachtete. Die Nonnen waren heute allesamt auf die Wiese unterhalb des Galgenbergs ausgeschwärmt und staksten darauf herum, als wollten sie das Gelände mit Schritten abmessen – oder zumindest hatte Guda gedacht, sie wären vollzählig dort. Doch eine von ihnen stand jetzt unter den Bäumen und starrte freundlich-neugierig zu Guda herüber. Im ersten Augenblick wollte Guda sich abwenden, aber etwas an der jungen Klosterschwester ließ sie innehalten. Sie war so zart wie ein Kind, das Licht schien fast durch sie hindurchzuscheinen; ihr Klosterhabit war ebenso grob und farblos wie der der anderen und wirkte doch strahlend. Nach einem Moment kam Guda darauf, woran es lag: Er war weder schmutzig noch zerschlissen. Die Tuniken ihrer Glaubensschwestern sahen hingegen mittlerweile aus wie etwas, das man aus dem Schlamm zog, nachdem eine Herde Kühe darübergetrampelt war.
    »Gott sei mit dir«, sagte die junge Nonne.
    Guda schluckte. Schließlich nickte sie der Klosterschwester abrupt und ungraziös zu. »Und mit Euch, Schwester«, stieß sie hervor.
    Die Schwester kam näher. Der lange Habit verbarg ihre Füße – es sah aus, als schwebe sie. Guda fühlte eine Musterung, die beinahe körperlich spürbar war. Ihre Seele erzitterte unter dem Streicheln der Blicke, und sie konnte die Augen nicht heben. »Du stehst im Schatten«, sagte die Nonne.
    Auch als sie später am Tag wieder in ihrem Haus saß und die Tränen immer noch nicht versiegen wollten, wusste Guda nicht, wie die Schwester ihre simple Aussage gemeint hatte. Es stimmte, Guda stand im Schatten der Klostermauer, während die Nonne in einem Lichtkeil stehen geblieben war und ihre hellgraue Tunika schimmerte; doch es schien, dass die junge Frau nicht die Abwesenheit der

Weitere Kostenlose Bücher