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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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beamteten Brüder Ebras die Vergangenheit des Mönchs. Abt Philipp hatte ihnen mitgeteilt, dass er einer der ihren wäre und seine Tage in der Einsamkeit des Waldes zu verbringen wünsche. Das war vor fünf oder sechs Jahren gewesen. Ab und zu brachte jemand Nahrungsmittel zum Rindenkobel; aber die Abstände dazwischen waren so lang, dass der Einsiedler sich seine Nahrung offenbar zum Teil selbst erjagte, wenn er nicht verhungern wollte. Bruder Hildebrand hatte die Worte des Abtes nie in Frage gestellt, auch nicht nach den wenigen Gelegenheiten, an denen er – damals noch Helfer des alten Sakristans und nicht über die Dienste der normalen Mönche erhaben – dem Einsiedler Essen gebracht hatte. Gehorsamkeit war einer der Grundpfeiler des mönchischen Lebens.
    Bruder Azrael klappte das Kästchen zu. »Erzähl mir, was du dem Abt erzählt hast.«
    Hldebrand tat es. Und dann erzählte er alles andere, von der Entdeckung der neuen Klosterbaustelle bis zu seinem letzten Versuch, mit Hilfe eines von Constantias Plänen Schwester Elsbeth zu ruinieren. Es war, als ob der Blick von Bruder Azraels blauen Augen ihn dazu aufforderte, die Leere zu füllen, die hinter der Bläue zu erkennen war, und er plapperte immer mehr und mehr, doch die Leere füllte sich nicht. Mit einem Schaudern brach er ab und hatte das Gefühl, alle Geheimnisse verraten zu haben, die er je geschworen hatte, für sich zu behalten.
    Die halbgetrocknete Schlammschicht auf Bruder Azraels Gesicht bekam ein paar Sprünge. Es schien, als lächle der Einsiedler. »Der alte Strippenzieher«, flüsterte er mit seiner toten Stimme. »Das muss das erste Mal sein, dass jemand seinen Manipulationen entkommen ist und unter seiner Nase sein eigenes Spielchen spielt. Was sagt uns das über ihn? Oder über … sie? «
    Hildebrand starrte ihn an. Die blauen Augen fokussierten sich auf den Sakristan.
    »Du hast keine Ahnung, was hier gespielt wird, oder?«, flüsterte der Einsiedler.
    Bruder Hildebrand war versucht zu sagen, dass er es auch gar nicht wissen wolle.
    Hinter Bruder Azrael raschelte etwas. Er bewegte sich so schnell, dass Hildebrand erst gewahr wurde, was geschehen war, als der Armbrustbolzen längst zitternd in einem Baumstamm steckte. Ein Eichhörnchen war daran aufgespießt, dessen Krallen weiter in der Rinde kratzten, weil sein kleines Gehirn noch nicht mitbekommen hatte, dass es bereits tot war. Hildebrand fühlte sich kaum anders als das Eichhörnchen. Sein Mund klappte auf, und er fühlte, wie seine Kutte vorne noch ein wenig nässer wurde. Azrael betrachtete, was er mit seinem einhändigen Schuss getroffen hatte. Er drückte Hildebrand das Kästchen in die Hand, stellte die Armbrust auf den Boden, stieß den Fuß in die dicke Lederschlaufe an ihrem Ende, packte und spannte die Sehne mit einem Ruck, der zeigte, welche Kräfte in dem verwahrlosten Körper stecken mussten. Er stapfte zu dem Baum hinüber, zog den Bolzen heraus, hob das Eichhörnchen vom Boden auf und kam dann wieder mit dem eingelegten Bolzen zu Hildebrand zurück. Der Baumeister wäre noch weiter zurückgewichen, wenn der Kobel nicht in seinem Rücken gewesen wäre.
    »Ich erklär’s dir«, flüsterte Azrael. »Und wenn du es jemals einem anderen Menschen erzählst als mir oder Abt Philipp, bist du ein sehr totes Eichhörnchen.«
    Er warf Hildebrand das tote Tier zu. Hildebrand versuchte es instinktiv zu fangen und ließ das Kästchen fallen. Der Deckel klappte auf, und mit der trocken gewordenen Erde rutschte die skelettierte Hand heraus und löste sich auf. Die einzelnen Knöchelchen sahen auf einmal nicht mehr menschlich aus.
    »Es ist die Geschichte vom Geheimnis eines Kaisers«, wisperte Azrael.
    Ein letzter Rest von Vernunft in Hildebrands Hirn rief: Lauf!
    Er rannte davon, das Kästchen und das tote Eichhörnchen hinter sich lassend, den schlüpfrigen Pfad hinunter, sich mit beiden Händen die Ohren zuhaltend. Wenn er ausrutschte, kam er schneller wieder auf die Beine, als er hingefallen war. Hinter ihm ertönte das heisere, bellende Lachen des Einsiedlers, vor ihm fiel der Weg steil nach unten ab, als führte er in die Hölle, und zwischen seinen Beinen schlackerte seine total durchnässte Kutte.
    »Wenn du Gabriel jemals triffst und es überlebst, gib mir sofort Bescheid!«, schrie Azrael ihm nach.
    Auf seiner Flucht sagte sich Hildebrand, dass Schwester Elsbeth und ihr neues Kloster und alle, die damit zu tun hatten, vom Teufel besessen sein mussten und dass nur noch das

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