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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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lautes Jubeln vernehmen.
    Walter schloss leise die Tür. Die Klinke vibrierte in seiner Hand, als der Tanz des Bettes zu einem Crescendo wurde. Walter hatte in vielen Schlachten die Kriegstrommeln schlagen gehört, aber niemals lauter oder schneller als das Klopfen des Bettgestells gegen die Wand der Schlafkammer.
    »Wir haben uns nicht bedankt, dass wir uns unter dem Bett verstecken durften«, wandte Godefroy ein.
    »Die sind uns dankbar, glaub mir!«
    Sie beobachteten den Abmarsch Gabriels mit seinen Gefangenen von sicherer Warte aus dem Trockenspeicher heraus. Dann rannten sie nach unten und zu den Ställen, wo ihre struppigen Pferde unauffällig zwischen denen standen, die der Wirt entweder gegen Bezahlung unterstellte oder behalten hatte, wenn einer seiner Gäste gestorben war, oder die darauf warteten, dass die Vorräte an Rind-, Lamm- und Schweinefleisch zu Ende gingen. Sie warfen ihnen die Sättel über, zäumten sie auf, dann folgten sie der in sich zusammensinkenden Staubsäule auf der Straße, die nach Nordwesten in Richtung der Berge führte.

10.
EBRA
     

     
    Bruder Hildebrand, der Sakristan von Ebra, kämpfte sich den steilen Hang empor. Der ausgetretene Pfad war schlüpfrig. Er schwitzte in seiner grauen Kutte und nahm seinen eigenen Körpergeruch und das muffige Aroma des Wollstoffs wahr. Er hasste es, hier heraufzukommen. Der Anblick führte ihm stets vor Augen, was das eigentliche Ziel seines Lebens hätte sein sollen und wohin er niemals gelangen würde. Gott hatte ihn nicht dafür geschaffen.
    Als er die bewaldete Bergkuppe erreicht hatte, blieb er keuchend stehen. Er starrte das Schmuckkästchen in seinen Händen an. Es schien Tonnen zu wiegen.
    Der Rindenkobel fiel kaum auf; hätte er nicht gewusst, wo er sich befand, und wäre der kleine Pfad nicht darauf zugelaufen, er hätte ihn inmitten des Brombeerdickichts für einen gefallenen Baum gehalten. Er war so niedrig, dass er einem Mann höchstens bis zur Brust reichte, das Dach bestand aus Rindenstücken und einem Geflecht aus Zweigen. Bruder Hildebrand blieb vor dem Eingang stehen, der mit einem Lederlappen abgehängt war. Man konnte sehen, dass der Boden des Kobels tiefer lag als der Waldboden. Im Grunde war die Behausung nichts als eine rechteckige Grube im Boden, nur unwesentlich größer als ein Grab, über die ihr Besitzer ein buckliges Spitzdach gestülpt hatte. Jeder armselige Köhler lebte besser.
    Bruder Hildebrand räusperte sich. »Bruder Azrael?«, fragte er halblaut.
    Aus dem Inneren des Rindenkobels war kein Laut vernehmbar. Hildebrand holte Luft. Die Vorstellung, dass der Einsiedler vielleicht tot in seiner erbärmlichen Unterkunft lag, ließ ihn plötzlich schaudern. Hildebrand hatte seinen Anteil an toten und zum Teil grässlich zugerichteten Körpern gesehen, doch der Einsiedler war ihm immer unheimlich gewesen. Dass er tot dort drinliegen sollte, machte ihn noch unheimlicher. Er dachte daran, dass es die wahre Erfüllung eines Mönchslebens war (die Erfüllung, für die er nicht geschaffen war), allein, entfernt von der Welt, in Kontemplation und quasi als lebender Heiliger sein Dasein zu beschließen. Wieso weckte der Gedanke an den Einsiedler dann stets Beklommenheit in ihm? Es war, dachte er sich, weil den Mann eine ähnliche Aura umgab wie den Bruder Infirmarius in Zeiten von Krankheit und Not. Dann roch der Krankenbruder nach Tod. Der Einsiedler roch allzu sehr nach Leben, vor allem einem, das seit Jahren nicht mehr gewaschen worden war, und doch haftete ihm ein nicht mit der Nase wahrnehmbarer Todesgeruch an. Es mochte an seinem unglücklichen Namen liegen – wer erwählte sich schon freiwillig den Totenengel als Namenspaten? Aber Hildebrand wusste, dass das Beklommenheitsgefühl eine viel tiefere, animalische Ursache hatte. Es war das gleiche Gefühl, das ein Kaninchen haben musste, wenn es eine Schlange sah, auch wenn die Schlange bewegungslos dalag und vom Kaninchen keinerlei Notiz nahm.
    Er räusperte sich erneut und schob den Lederlappen beiseite. Um hineinspähen zu können, musste er sich bücken.
    »Bruder Azrael?«
    Das Innere des Rindenkobels war dunkel. Vage konnte Hildebrand ein Lager aus Laub und Gras erkennen. Der Kobel war leer. Er richtete sich auf.
    Sein Hinterkopf stieß an etwas Hartes, Spitzes.
    »Bruder Sakristan«, flüsterte die Stimme des Einsiedlers in sein Ohr. »Sachte, sachte, sonst geht das Ding los.«
    Bruder Hildebrand stand wie erstarrt. Er wagte nicht zu atmen. Sein Herz trommelte so

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