Die Pforten der Ewigkeit
blicken müssen.
Als Ella mit Ursi die Stube verließ, fragte sie: »Was ist eigentlich aus dem Kind von Petrissa und Volmar Zimmermann geworden?«
Er musterte sie überrascht. »Das weißt du doch. Die Tiere haben es gefressen.«
»Und was ist die Wahrheit, Meffridus?«
Seine Augen wurden schmal, als er sie ansah. Sie stellte fest, dass ihre Angst vor ihm doch noch größer war, als sie gedacht hatte, aber nun besaß sie auch neue Kräfte, um sie im Zaum zu halten. Er hatte so gelöst gewirkt, als er mit Ursi gespielt hatte, fast wie ein normaler Mann. Gab es einen besseren Zeitpunkt, um ihm ganz beiläufig das Monster vor Augen zu führen, das er war?
»Hätte ich die Kleine getroffen, wenn du und Rudeger mich wirklich ins Bordell nach Nuorenberc verkauft hättet? Oder wäre ich nicht hübsch genug gewesen für das spezielle Haus, in dem die Prälaten und die reichen Stadträte verkehren?«
Meffridus senkte den Blick. Er verschränkte die Finger ineinander, dann löste er sie wieder. Er musterte sie von unten herauf. »Ich stelle ein drittes Mal fest, dass du zu klug bist«, sagte er schließlich.
Constantia holte in Gedanken aus. Sie hatte sich genau überlegt, was sie als Nächstes fragen würde. »Ist dem Mädchen etwas zugestoßen, was auch Federica zustoßen könnte, Meffridus?«
Ihre Worte hatten weniger Wirkung, als sie erwartet hatte. Er verzog nur das Gesicht. »Ich möchte dir eine philosophische Frage stellen«, sagte er dann. »Wer hätte die Verachtung verdient gehabt, wenn Jesus Christus auf dem Berg der Versuchung des Teufels nachgegeben hätte?«
»Was soll das jetzt …?«
»Was glaubst du? Luzifer, der es einfach mal versuchte, oder Jesus, der genau wusste, was falsch und was richtig war?«
»Als welchen von beiden siehst du dich denn?«
Meffridus lehnte sich zurück. Er schenkte sich einen Becher Wein ein, doch dann trank er nicht davon. »Als ich Volmar damals das Geld lieh, fragte ich ihn nach einer Sicherheit. Seine Vorschläge waren alle lächerlich. Schließlich sagte ich: ›Volmar, du hast die Wahl. Du kannst jetzt ohne das Geld gehen und so glücklich werden, wie du es eben kannst. Oder du hörst dir meinen Vorschlag an und kannst nie wieder ruhig schlafen, ganz egal, wie es ausgeht.‹«
»Was hat er getan?«
»Er ist gegangen.«
»O Gott, Meffridus, selbst der Teufel hat Jesus in Ruhe gelassen, als er der Versuchung entsagte …!«
Meffridus hob die Hand. »Am nächsten Tag waren sie beide wieder da – Volmar und Petrissa. Sie meinten, ich solle ihnen meinen Vorschlag unterbreiten – nur, damit sie ihn ablehnen könnten. Meine ursprüngliche Idee war gewesen, Volmar zu verpflichten, den alten Wachturm auf seine Kosten zu reparieren. Immerhin liegt hier all mein Reichtum; wenn das alte Ding zusammenfällt, habe ich es einigermaßen schwer, an das hier zu gelangen, oder nicht? Aber ich konnte ihnen an den Nasenspitzen ablesen, dass sie etwas anderes erwarteten. Etwas Gotteslästerliches. Etwas Perverses. Petrissa hatte sich rote Farbe auf die Lippen getupft und rein zufällig vergessen, das Oberteil ihres Gewandes gründlich zuzuschnüren. Sie erwarteten, dass ich als Sicherheit ihren Körper verlangen würde, und sie waren darauf vorbereitet, Sünde zu schreien und dann nachzugeben. Ich sagte ihnen, dass die Sicherheit ihre Tochter wäre. Könnten sie den Kredit nicht rechtzeitig zurückzahlen, würde ich die Kleine an einen mir bekannten Händler verkaufen, der Beziehungen zu den dalmatinischen Sklavenmärkten unterhielte, wo für blonde, hellhäutige Kinder ein Vermögen gezahlt würde, besonders wenn sie in jeder Hinsicht unschuldig wären.«
Constantia schüttelte mit einer wilden Grimasse den Kopf. »Wie konntest du nur so etwas tun!?«
»Das ist ziemlich das Gleiche, was auch Petrissa und Volmar sagten. Sie spuckten auf den Boden. Sie bekreuzigten sich. Sie taten, als ob sie kotzen müssten. Sie weinten ein bisschen. Dann besiegelten sie den Vertrag.«
Constantia ballte die Fäuste. »Wie kommt man nur auf den Gedanken, einem Kind so ein Schicksal zu bereiten?«
»Du bist auch darauf gekommen«, sagte Meffridus einfach.
»Das Schicksal der Kleinen geht auf dein Gewissen«, flüsterte Constantia.
»Das hoffe ich doch. Sie lebt in einem Waisenhaus in Virteburh, das die Mitglieder des Stadtrats mit einer Dauerstiftung unterstützen und in dem es den Kindern gut geht, weil die Stifter glauben, damit eine gute Tat zu vollbringen und eines Tages in den Himmel
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