Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Bauch. In der letzten Zeit hatte sie sich angewöhnt, stumme Zwiesprache mit dem Leben zu halten, das in ihr heranwuchs. Der Ekel davor war vergangen; sie wusste nicht, wann das geschehen war, aber es war eine Tatsache, und nun schien es ihr abenteuerlich, dass sie das Kind in ihrem Schoß einmal gehasst hatte. Sie hasste den Vater nach wie vor, aber das Kind … es war auf seine eigene Art poetisch, dass seine Existenz zu Meffridus’ Untergang beitragen würde. Um des Kindes willen hatte er ihr vertraut, mit der üblichen männlichen Arroganz, dass eine Frau, die seinen Samen trug, gar nicht anders konnte, als mit ganzer Seele ihm zu gehören. Auf seine Art war es auch poetisch, wie Meffridus all das Gold und Geschmeide verlieren würde, auf das er seine Zukunft baute. Kurz hatte Constantia überlegt, es ihm zu rauben, aber es war viel besser, wenn er wusste, dass es noch da war – aber es niemals wiederfinden würde. Er würde sich schluchzend und mit bloßen Fingernägeln durch die Erde wühlen, und finden würde er nichts.
    Hier, unter der Erde, gab es noch eine letzte Aufgabe für sie zu erfüllen. Es war ohne Belang für ihren Plan, aber sie wollte ihre Vermutung bestätigt sehen; die Vermutung, die Nahrung bekommen hatte durch eine nebensächliche Bemerkung Ellas. Ella hatte erzählt, dass Ursi in der Klostergasse einen Pferdeapfel aufgehoben hatte – »Hihih, der kleine Schmutzfink, ich musste direkt an die alte verrückte Berthrad denken, die immer irgendwelchen Unsinn faselte und den Leuten die Rossäpfel hinterherwarf …!« –, und Constantia hatte sich erinnert: an das Gefasel der alten Berthrad von Toten, die einen unterirdischen Fluss bewachten und den Schatz, der in ihm versenkt war. Geschichten von Toten  … Bald danach war sie verschwunden gewesen. Ihre Familie hatte erklärt, sie in ein Hospiz gebracht zu haben. Ließ sich hier Meffridus’ Handschrift erkennen? Vielleicht hatte er Berthrads Familie Geld für die Aufnahme in ein Hospiz in Nuorenberc oder Papinberc oder Virteburh gegeben, damit sie die Alte aus der Stadt entfernten. Berthrads Leute waren arm gewesen; was hätte sie daran gehindert, das Geld zu nehmen und die Alte im Wald zu erschlagen oder zumindest irgendwo auszusetzen? Ja, das sah nach Meffridus’ Handschrift aus: der Verführer, der sich selbst nicht die Hände schmutzig machte.
    Tote, die einen Schatz bewachten. Wenn Constantias Vermutung falsch und Meffridus zumindest in dieser Hinsicht unschuldig war, würde es trotzdem nichts an ihrem Vorhaben ändern. Wenn sie zutraf, hatte sie zumindest die Gewissheit, dass viele tote Augen ihr über die Schulter blicken und viele tote Lippen sich in einem Lächeln verziehen würden, wenn sie Meffridus zerstörte.
    »Ihr habt auf meiner Hochzeit gefehlt«, sagte sie halblaut. »Und dabei habt ihr so gerne gefeiert.« Sie dachte an das, was ihre Mutter einmal gemurmelt hatte, vor scheinbar tausend Jahren. Sie holte Luft. »Und ihr habt das Glück mit fortgenommen, als ihr gegangen seid. Ich habe es für einen dummen Spruch gehalten, dabei hat sie recht behalten. Ich bringe euch den Seelenfrieden, und ihr gebt mir das Glück zurück, einverstanden?«
    Sie stellte die Laterne ab und schleppte die schwere Holzfälleraxt zur Mauer. Schwester Adelheid, die besorgte Ziege, wäre empört und würde ihr dringend raten, keine schweren Gegenstände zu heben oder sich körperlich zu verausgaben, aber was wusste schon Schwester Adelheid. Constantia war sicher, dass ein paar wuchtige Schläge gegen die Mauer dem Kind nicht schaden würden. Im Gegenteil … es sollte ebenso wie Constantia erfahren, wessen Geistes sein Erzeuger war.
    Die Mauer widerstand zwei Schlägen und sackte mit dem dritten auf halber Länge zusammen. Vermutlich hätte Baumeister Wilbrand einiges zu dieser Qualität von Maurerarbeit zu sagen gehabt. Constantia stellte die Axt beiseite und kletterte mit der Laterne über die Steine.
    Der Geruch hatte sich nicht geändert, aber nun war das »Plick! Plick! Plick!« der Wassertropfen deutlicher zu hören. Sie folgte ihm bis zu einer Biegung keine fünfzig Schritte weiter. Als sie mit der Laterne nach oben leuchtete, sah sie, dass an Dutzenden von Stellen Wasser in den Gang gesickert war. Die Winterkälte nahe der Oberfläche hatte es frieren lassen. Dunkle Eisadern zogen sich über die gewölbte Tonnendecke, wechselten sich ab mit fingerlangen Eiszapfen, die ebenfalls dunkel waren, als bestünden sie aus gefrorenem Blut.

Weitere Kostenlose Bücher