Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
gewesen. Dass sie den Kanal noch nicht vollständig freibekommen hatten, war nicht ihre Schuld. Man sah erst, wie viel Treibgut tatsächlich im See gewesen war, wenn man den großen Haufen Totholz ermaß, den sie bereits ans Ufer geschafft hatten, danach die schwimmende Treibholzinsel im See betrachtete und feststellte, dass sie noch nicht wesentlich kleiner geworden war. Zwei Männer balancierten draußen auf dem Holz herum, obwohl es noch so duster war, dass sie vom Ufer aus nicht einmal ihre Gesichter erkennen konnte. Ein dritter zerrte an einem langen Tau und versuchte, einen Baumstamm freizubekommen, auf den die anderen beiden eintraten und einhackten. Die Stille, in der sie arbeiteten, und vor allem die unchristliche Stunde, zu der sie tätig waren, ließ sie wie unheimliche Wesen aus einem Traum wirken, der sich weigerte zu vergehen.
    Constantia brauchte die Gesichter der Männer nicht zu sehen, um zu wissen, welcher von ihnen fehlte. Sie war sicher, dass man ihren Aufstieg sehr gut von hier oben aus hatte beobachten können, trotz des schlechten Lichts. Als sie den Atem an ihrem Ohr spürte, zuckte sie nur deshalb nicht zusammen, weil sie darauf vorbereitet gewesen war, dass er sich anschleichen würde.
    »Sag mir einen Grund, warum ich dir nicht hier und jetzt den Hals umdrehen sollte«, flüsterte Rudeger.
    Constantia drehte sich nicht um. »Weil du wissen willst, weshalb ich hier heraufgekommen bin, obwohl mir klar war, dass du dir nichts sehnlicher wünschst, als mich umzubringen«, sagte sie.
    Rudeger ließ eine ihrer langen blonden Haarsträhnen durch seine Finger gleiten. Meffridus hatte neuerdings darauf bestanden, dass sie im Freien eine Kopfbedeckung trug wie jede ehrbare Frau, doch heute hatte sie bewusst darauf verzichtet. Rudeger roch an ihrem Haar.
    »Fickt er dich gut?«, fragte er. »Angebaut hat er ja schon.«
    »Nicht besser als du«, sagte sie, »aber das ist nichts, worauf ihr stolz sein könntet.«
    Sie hörte seinen Atem und wie schwer es ihm fiel, ruhig zu bleiben. Sie drehte sich um. Sie brauchte ihn für ihre Pläne; es ergab keinen Sinn, seinen Hass noch zu schüren. Ella Kalp war immer noch eine entfernte, langsam den Hang heraufstapfende Gestalt, die öfter stehen blieb als vorwärtsging.
    Sein Gesicht aus der Nähe zu sehen schockierte sie, und es lag nicht nur an seiner zerschlagenen Nase und der ungesunden Haut. Er war ungewaschen, aber der Schmutz war lediglich eine weitere Schicht von Gemeinheit auf einem verwüsteten Antlitz. Rudeger war in den zwei Jahren mindestens zehn gealtert. Der Schmutz zeichnete Linien nach, die sie nicht kannte, und hatte ein Netz in seine Züge gegraben, das sich nur dort nicht abzeichnete, wo ein lachendes Gesicht Falten geworfen hätte. Er war ein schmucker Bursche gewesen; jetzt war er nur noch das Wrack eines ausgebrannten Mannes, der von seinem Hass auf die Welt zusammengehalten wurde.
    Gut, dachte sie bei sich, obwohl ihr sein Anblick einen Stich versetzte, gut! Je mehr vom Hass zerfressen, desto besser .
    Und gleichzeitig dachte sie: Hast du wirklich so viel mehr Grund zu hassen als ich, Rudeger?
    Er schien ihren Gesichtsausdruck richtig gedeutet zu haben, denn er fletschte die Zähne. »Meine zerbeulte Fresse habe ich schon aus unserem Haus getragen«, sagte er. »Du bist ja leider nicht mit runtergekommen, um zu sehen, wie mich Meffridus’ Dreckskerle fertiggemacht haben.«
    »Wozu?«, fragte sie kalt. »Hätte ich dir das Blut mit unserem Hochzeitslaken abwischen sollen?«
    Es brachte ihn zum Schweigen. Sein ganzes Gesicht zuckte. Constantia war klar, dass sie mit einem Fuß im Grab stand und dass sein Wissen um Meffridus’ Kind in ihrem Leib ihn eher noch anstacheln würde, ihrer beider Leben auszulöschen. Seine drei Kumpane würden ihr nicht beispringen. Wenn überhaupt, würden sie beiseitetreten, wenn er einen Stein an ihren Leichnam band und sie auf den Grund des Sees schickte.
    Als er eine Hand hob, biss sie die Zähne zusammen und erwartete, dass er sie schlagen würde. Sie hatte sich vorgenommen, weder auszuweichen noch ihn abzuwehren. Doch er schob nur die Binde nach oben, die über seinem anderen Auge lag. Constantia hielt unwillkürlich den Atem an. Rudeger schob die Binde wieder an ihren Platz.
    »Branntkalk«, sagte er beinahe beiläufig. »Ich weiß nicht, was lästiger ist – dass ich auf dem Auge blind bin, dass die Verätzung immer noch nässt oder dass es sich ständig so anfühlt, als stieße dir jemand einen Ast

Weitere Kostenlose Bücher