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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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herumtrieb; dass die Fürsten für die Missernte verantwortlich waren, weil sie sich lieber stritten, als einen neuen Kaiser zu wählen; dass der Antichrist nur darauf wartete, mit seinen Höllenscharen heraufzusteigen, weil die Christenheit ohne militärischen Führer war und weil Kaiser Federico in Wahrheit vergiftet worden war, und zwar auf Zutun des Höllenfürsten persönlich. Das abgelegene Wizinsten war ein idealer Brutkessel dafür, dass solche abergläubischen Aussagen immer weiter hochgekocht wurden, und je mehr das Jahr sich seinen dunkelsten Tagen zuneigte, desto bizarrer wurden sie. Elsbeth hatte Lubert Gramlip bereits beiseitegenommen und ihn bedrängt, dem Stadtrat einige Erlasse abzuringen – unter anderem den, keine umherziehenden Geißler in die Stadt zu lassen. Was eine derartige Demonstration unter den verunsicherten Wizinstenern ausgelöst hätte, konnte sie sich denken. Sie wusste nicht, ob Lubert Erfolg haben würde bei seinen Ratskollegen; sie plante bereits, unter vier Augen mit Meffridus Chastelose zu sprechen, auch wenn der Gedanke sie abstieß.
    Spenden von verschiedenen Familien in der Stadt (allesamt Hedwigs Anhänger): sechs Pfund, vierundzwanzig Pfennige …
    Vom Stadtrat für Ausbesserungsarbeiten am Rathausdach, um die sich Wilbrand nebenher gekümmert hatte: ein Pfund, zweiundsiebzig Pfennige …
    Für Gebete und Bittmessen an den heiligen Nikolaus, den heiligen Antonius und die Heilige Jungfrau Maria, ausgelobt von Wolfram Holzschuher: sieben Pfund, zuzüglich Wachskerzen im Wert von zwei weiteren Pfund (eine fürstliche Schenkung, die der Größe von Wolframs Trauer entsprach) …
    Letzten Endes war dies das einzige Gut, das die Schwestern in Wizinsten tatsächlich verkaufen konnten: der Funke Hoffnung, der sich in den krausen Visionen Hedwigs verbarg oder der nach außen hin niemals nachlassenden Energie Elsbeths oder den Krankenbesuchen Adelheids.
    Elsbeth schob die Berechnungen beiseite. Das Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben war beklemmend. Und in dieser Lage hatte Wilbrand sich geweigert, die Arbeiter zu entlassen? Obwohl der erste auch über den Tag anhaltende Frost die Bauarbeiten zum Erliegen gebracht hatte? Elsbeth stand entschlossen auf und machte sich auf den Weg zu ihm. Er würde die Arbeiter entlassen müssen. Vielleicht konnte man jedem von ihnen ein paar Pfennige mit auf den Weg geben, aber entlassen würde man sie müssen. Sonst war der Bau spätestens zum Christfest bankrott, und sie alle würden auf der Straße stehen. Sie zögerte und dachte einen Augenblick daran, Adelheid mitzunehmen – die Gegenwart der jungen Krankenschwester hatte stets eine beruhigende Wirkung, weil sie es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, auf Schritt und Tritt Leidensgeschichten anzuhören und mit Kräuterpasten und -suden sofort Abhilfe zu schaffen, selbst wenn diese ihren eigenen Worten nach oft nicht mehr waren als »wohlschmeckende Aufgüsse aus Salbei und Minze« und die Einbildung den Kranken mehr half als die vermeintliche Wirkung der Kräuter. Aber Adelheid war vor einigen Tagen nach Papinberc gereist, zusammen mit einer anderen Schwester und unter dem Schutz von Lubert Gramlips Fuhrknechten. Sowohl für den Händler als auch für Adelheid war es die letzte Reise gewesen, bevor der Winter die Durchquerung des Waldes zu mühselig machen würde. Lubert hatte, auf gewisse Vorzeichen hörend, die einen extrem nassen Winter versprachen, schwere Tuche kaufen wollen, die den Regen abhielten, und Adelheid hatte ihre Apotheke aufbessern wollen.
    Wilbrand hatte sich in den letzten Wochen verändert; die Beinahekatastrophe mit dem blockierten Kanal schien ihn merkwürdigerweise mehr ins Gleichgewicht gebracht zu haben als all die Erfolge zuvor. Vielleicht war es nur so, dass er Misserfolge gewöhnt war und besser damit umgehen konnte, als wenn ihm etwas gelang. Sie fand ihn in der Hütte der Steinmetzen, in der ein großes Feuer brannte und in dem es drangvoll eng war, so viele Männer und Frauen hielten sich hier auf. Mittlerweile hatten etliche Tagelöhner aus der Stadt Arbeit beim Bau der Kirche gefunden und teilten sich das Steineschleppen und Mörtelrühren mit ihren Frauen, weil sie so einen kompletten Lohn für jeweils die Hälfte Arbeit erhielten. Sie rappelten sich alle vom Boden auf und verbeugten sich, als Elsbeth den Raum betrat.
    Sie sah sich um. Sie kannte längst nicht mehr alle Menschen, die hier für sie arbeiteten, aber ihr fiel auf, dass die Männer,

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