Die Pforten der Ewigkeit
Männer. Und nicht alles Erwachsene. Constantia sah die Einzelheiten, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Was sie stattdessen vor ihrem inneren Auge erblickte, war dies: Meffridus, der mit einer Laterne in der Hand hierher vordrang, während seine Knechte weiter vorne die Mauer hochzogen. Wann würde das gewesen sein? Vor dem Einbau der Tür … nach der Ankunft der Zisterzienserinnen. Meffridus würde sich nicht die Hände schmutzig gemacht haben; er würde Zeit gehabt haben, und er würde sie genutzt haben, um nachzusehen, ob … was?
Ob sie noch alle da waren?
Die Benediktiner hatten vermutlich versprochen, den Schatz in ihrem abgelegenen Kloster zu verstecken. Vielleicht waren sie auch gar keine richtigen Benediktiner gewesen. Vielleicht waren sie nur hier gewesen, um auf diesen einen Tag zu warten – wenn das Gold und das Geschmeide des Langue d’Oc, wenn der Schatz der Albigenser hierherkam, um aufbewahrt zu werden für den Tag, an dem ein neuer Kreuzzug stattfand, einer, bei dem die römische Kirche die Beute war und nicht das Raubtier. Wer wollte das jetzt noch feststellen? Sie waren als Benediktiner wahrgenommen worden in Wizinsten, und als Benediktiner waren sie gestorben. Die Frauen mochten die Gattinnen der Männer gewesen sein, aus deren Truhen der Schatz stammte. Wo sich Gold in Sicherheit bringen ließ, ließen sich auch Menschen verstecken. Frauen, Kinder … wie viele Ketzerbarone mochten auf dem Schlachtfeld oder auf dem Scheiterhaufen gestorben sein, den einen Trost im Herzen, dass wenigstens ihre Familien in Sicherheit waren – während ihre Familien in Wahrheit hier unten vermoderten?
Hatte er herumgestöbert? Hatte er gedacht, vielleicht das eine oder andere Kleinod übersehen zu haben? Oder würde er sich daran erinnert haben, wie es gewesen war, als sie alle den Tod gefunden hatten? Meffridus konnte die Tat nicht allein begangen haben, auch nicht zusammen mit Knechten vom Schlag Lamberts oder Dudos. Sie würden mindestens zu zweit gewesen sein, mit einer Handvoll Totschläger, und die Opfer würden ihnen vertraut haben, weil sie … weil sie dachten, die Mörder wären auf ihrer Seite.
Klingen, die im Fackelschein aufblitzten … Gesichter, die sich im Schmerz verzerrten … Körper, die zu Boden sanken … und die eine oder andere Bitte um Gnade, plötzlich verstummt, als das Schwert durch die Kehle fuhr …
Würde Meffridus das gehört, das gesehen haben? Oder hielten die Gespenster seiner eigenen Verbrechen keine Schrecken für ihn bereit?
Constantia meinte zu sehen, wie er sich wieder abwandte, zurückstapfte, an dem toten Mönch beim Wasserbecken vorbei, zurück zu seinem Schatz. Doch eines würde er übersehen haben: die kleine Krabbe, die an seinem Stiefel hängen geblieben war, die kleine weiße Krabbe, die Kinderhand, die sich an ihm festhielt, wie sie sich vielleicht auch im Todeskampf an ihm festgeklammert hatte, bis ein Tritt den Griff gelöst hatte. Er würde sie mit nach draußen geschleppt haben, bis dorthin, wo er später die Tür würde einbauen lassen, und dort würde sie gelegen sein, unter Matsch und Schlamm, im Halbdunkel, ungesehen, unentdeckt von den Männern, die die Tür zimmerten, bis … ja, bis sie jemanden fand, der ebenso verdammt und verloren und ein Opfer von Meffridus Chastelose war. Sie. Constantia.
Und sie hatte gedacht, die kleine Hand habe zu einem Säugling gehört, den eine von einem Mönch schwangere junge Frau hier hatte verschmachten lassen, um ihre Schande zu verstecken? Wie immer war die Wahrheit viel schrecklicher.
Constantia wandte sich ab und schritt wieder zurück. Es gab nichts mehr zu tun hier. Doch als sie sich anschickte, wieder in den alten Wachturm hinaufzusteigen, musterte sie sorgfältig ihre Schuhsohlen. Sie war sicher, dass ihre Gefasstheit zerbrochen wäre wie Glas, wenn auch sie die Hand eines toten Kindes an ihrem Stiefel gefunden hätte. Aber es war nichts zu finden. Die Toten mussten sie kein zweites Mal rufen. Sie war bereits eine von ihnen.
3.
WIZINSTEN
In der frühen Morgendämmerung stand Constantia schweratmend auf dem Damm, der den See im Steinbruch zurückhielt. Weiter unten hörte sie Ella Kalp heraufschnattern. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie und Ursi hier oben waren. Umso besser. Constantia hatte sich bemüht, sie so weit wie möglich abzuhängen, auch wenn sie nicht gern allein hier oben war und ihr Herz nicht nur wegen der Anstrengung hämmerte.
Die Arbeiter waren nicht untätig
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