Die Pforten der Ewigkeit
Handlung seinen Vater in Gefahr bringen würde, von einem Ritt nach Wizinsten hatte abhalten lassen. Die Umsicht, mit der Hartmann und dessen kleine Gruppe albigenserfreundlicher Männer und Frauen vorgegangen waren, hatte ihn zwar beeindruckt, aber die Sorge um Yrmengard nicht weniger werden lassen, und es kostete ihn große Mühe, seiner Furcht nicht einfach nachzugeben. Dass es sich lohnte, bedacht vorzugehen, zeigte das Beispiel der beiden Spitzel. Weder Rogers noch seine Reisegefährten hatten sie entdeckt. Erst durch Hartmanns Leute hier waren sie auf sie aufmerksam geworden und hatten sich eine Taktik überlegt, wie sie sie am besten loswerden konnten. Rogers ahnte, dass Hartmann weitere Verbündete besaß, die er, Rogers, noch nicht kennengelernt hatte. Er hatte Verständnis dafür. Wer allzu viel Vertrauen besaß, verschwand leicht auf Nimmerwiedersehen.
Hartmann machte vor einem Haus halt, das nicht anders aussah als alle anderen. Dennoch fühlte Rogers auf einmal, wie sein Mund trocken wurde. Auf einmal erinnerte er sich wieder daran, wann er seinen Vater zum letzten Mal gesehen hatte – während des letzten Scharmützels am Ufer des Bargh-as-Sirah. Ramons hatte in einer Hand seine Axt und in der anderen sein Schwert geschwungen, bespritzt vom Blut seiner Gegner, eine Höllenvision von einem Mann, dem es das Schicksal immer wieder verwehrte, ein friedliebender Gläubiger auf dem Weg in die Vollkommenheit zu sein. Rogers hatte das Gefühl, dass erst jetzt, nach all der Zeit, die Angst, sein Vater könnte den Kreuzzug nicht überlebt haben, auf ihn niedersank; jetzt, wo er kurz davor stand, ihn wiederzusehen. Er schnappte nach Luft. Ein Kreis schloss sich mit diesem Wiedersehen, und zugleich würde ein neuer beginnen. Er wünschte sich plötzlich nichts mehr, als wieder zehn Jahre alt zu sein und das Lachen seines Vaters zu hören, als er, stolz wie ein katalanischer Grande, auf der lammfrommen Mähre seiner Mutter im Burghof Kreise ritt. Er warf seiner Mutter und Schwester einen Blick zu, doch Sariz hatte Tränen in den Augen, und Adaliz weinte offen.
»Wie lange habt ihr euch nicht gesehen?«, fragte Rogers heiser.
»An der Wegkreuzung bei Montpelhièr haben wir uns getrennt. Ramons zog nach Norden weiter, um hierherzugelangen, Adaliz und ich und unsere Begleitung reisten nach Milan.« Sariz wischte eine Träne aus dem Gesicht. »Da war die Narbe, die er aus dem Kreuzzug mitbrachte, noch nicht ganz verheilt.«
»Welche Narbe?«, fragte Rogers überrascht.
»Er wird es dir erzählen, mein Sohn. Komm, lass uns hineingehen.«
Sie sah Hartmann fragend an, und dieser murmelte: »Im hinteren Teil des Hauses führt eine Treppe nach oben. Der Mesire wartet im Saal im piano nobile , im zweiten Obergeschoss.«
Sariz ergriff Adaliz’ und Rogers’ Hände und führte sie ins Haus. Rogers versuchte sich vorzustellen, wie seiner Mutter zumute sein musste. Möglicherweise war es für ihn, Rogers, sogar leichter gewesen – er hatte keine Ahnung gehabt, wo sein Vater sich versteckt hielt. Sariz hingegen hatte gewusst, in welcher Stadt er war, hatte die Mittelsmänner gekannt, mit denen sie und Ramons die ganze Zeit über seit jenem Tag in Colnaburg in Verbindung gestanden hatten (hauptsächlich die Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters und Hartmann), hatte ab und zu Nachrichten senden und von ihm empfangen können und hatte doch nicht wissen dürfen, wo er sich letztlich wirklich aufhielt. Hartmanns kurze Erklärung sagte alles. Sariz hatte nicht einmal gewusst, in welchem Haus sich ihr Mann aufhielt.
Rogers dachte daran, wie sehr er Yrmengard vermisste, und glaubte, eine vage Ahnung vom Schmerz zu haben, den Sariz de Fois mit königlicher Haltung ertragen hatte, dabei noch die Kraft aufbringend, ihrer Tochter Mut zuzusprechen und die Hoffnung nicht aufzugeben, dass ihr Sohn noch am Leben war. Eine so heiße Liebe zu seiner Mutter, zu seinem Vater und zu seiner Schwester erfüllte ihn, ein solcher Stolz auf seine Familie, dass der Anblick des engen Hausflurs vor seinen Augen verschwamm. Bevor sie die Treppe hinaufstiegen, drehte er sich um und sah Godefroy und Walter, die mit Hartmann vor der Eingangstür standen und so aussahen, als seien sie lediglich eine Gruppe Müßiggänger, die hier aufeinandergetroffen war und sich unterhielt. In Wahrheit standen sie Wache, damit das Wiedersehen des Hauses Trencavel ungestört verlaufen konnte. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, den kleinen Franzosen
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