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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Botschaft vom Feuer.«
    6.
PAPINBERC
     

     
    Rogers hatte es immer geliebt, der Stimme seines Vaters zu lauschen, wenn er erzählte. Selbst die reisenden Troubadours hatten innegehalten und Graf Ramons zugehört, und Rogers hatte gehört, wie einer von ihnen nachher seiner Mutter gestanden hatte, dass er seine ganzen Lieder dafür geben würde, einmal so sprechen zu können wie Ramons Trencavel. Dabei tat Ramons nicht viel; er saß da, gestikulierte wenn überhaupt nur mit sparsamen Handbewegungen, sah seine Zuhörer an und ließ seine Stimme fließen. Die besten Troubadours waren wie er – die Macht ihres Erzählens lag allein in ihrer Stimme und der Ernsthaftigkeit, mit der sie vermittelten, dass es eine würdige Aufgabe war, eine Geschichte zu erzählen, und dass es dabei nur auf diese ankam, auf ihren Inhalt, auf ihren Fluss, auf ihr kunstvolles Gewebe, und nicht auf den Erzähler. Während sie hinter die Geschichte zurücktraten, wurden sie ein Teil von ihr und schufen Platz für die Zuhörer, in sie einzutreten.
    Ramons’ Erzählung nahm seine Familie mit zurück nach Colnaburg, an einen Ort, den es nicht mehr gab, weil ein Feuer ihn zerstört hatte, an einen Platz, der heilig gewesen war und es wieder sein würde, weil eine alte Kirche dort gestanden hatte und nun ein neuer Dom darauf errichtet wurde. Rogers konnte nicht anders, als Yrmengards Nähe zu fühlen, während er all die Menschen sah , die damals um ihn herum gewesen waren, und er konnte auch nicht anders, als mit all seinen Sinnen in der Geschichte zu versinken. Der Bericht seines Vaters erzählte von dem Tag, an dem der unwahrscheinlichste aller Retter gekommen war, um die letzten stolzen Überreste der occitanischen Bonhommes vor Tod und Verrat zu bewahren. Von dem Tag, an dem eine junge Zisterzienserin mit dem Ordensnamen Schwester Elsbeth sich in den falschen Mann verliebte. Von dem Tag, an dem eine Gruppe aufrechter Männer und Frauen beschloss, dass das Blutvergießen ein Ende haben müsse, und in bester Absicht den Grundstein dazu legte, dass das Blutvergießen endlos würde. Wie hatte Ramons gesagt? Christi Lehre handelte von Liebe, nicht von Fundamenten. Das war der Fehler allen menschlichen Trachtens von Anbeginn: Grundsteine und Monumente errichten zu wollen, um den Glauben, um das Licht einzufangen und zu manifestieren, weil sie nicht verstanden, dass das Licht immer da sein würde und dass man es nicht einzufangen brauchte, weil es Gottes Geschenk an die Welt war. Es war das erste Wort, das Gott ausgeprochen hatte: Fiat lux! Es werde Licht!
    In diesen Momenten verstand Rogers, wieso Yrmengard den Kreuzgang ihres neuen Klosterbaus immer als das Herz der gesamten Anlage verstanden hatte: weil er das Licht nicht festhielt wie eine Kirche, sondern es frei durch seine Flügel fließen ließ. Er verstand, wieso sie die Steinmetze an allen vier Eingängen des Kreuzgangs die Worte Hic est domus dei Porta Coeli hatte anbringen lassen. Hier war der Eingang zum Himmel; hier waren die Pforten der Ewigkeit.
    Dies war Ramons’ Geschichte: Wer den Fall Montsegurs überlebt hatte, floh. Noch am Abend vor der Kapitulation der Bergfestung vor den Truppen König Louis’ hatten sich Dutzende von Gläubigen das consolamentum spenden lassen, um als perfecti in den Tod zu gehen. Doch als ihre Schreie in den Märzhimmel des Jahres 1244 stiegen, zusammen mit dem Rauch ihrer Scheiterhaufen, verließ die meisten Überlebenden der Mut. Wer die Hoffnung auf Gnade spürte, ergab sich; wer die Kraft dazu hatte, rettete sich nach Milan zu den norditalienischen Glaubensbrüdern, deren Asylangebot sie noch kurz zuvor abgelehnt hatten, vertrauend auf die Mauern von Montsegur. Andere verkrochen sich in einsamen Dörfern und auf den Adelssitzen unverdächtiger Verwandter. Fünf Familienoberhäupter jedoch wagten nach langem Zögern einen Verzweiflungsschritt: Rogers de Coseran, Olivier de Terme, Arsius de Montesquiou, Peire de Fenolhet – und Ramons Trencavel, der Angesehenste und Mächtigste unter ihnen.
    Sie wandten sich an einen Mann, der ebenso verzweifelt und von Feinden umgeben war wie sie und der in der Vergangenheit vorsichtige Sympathie für ihren Glauben hatte erkennen lassen.
    Kaiser Federico.
    Dessen Friedensverhandlungen mit Papst Innozenz IV., der sich von einem Freund zu einem Gegner gewandelt hatte, kaum dass er den Papstthron bestiegen hatte, waren gescheitert. Der Papst hatte den Kirchenbann erneuert. Seine Wandlung war allen unbegreiflich,

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