Die Pforten der Ewigkeit
du nicht gezwungen gewesen wärst, zum Schwert zu greifen.«
»Ich wäre ein perfectus , das ist alles.«
»Aber der Name beinhaltet es doch schon – ein Vollkommener im Namen des Herrn.«
»Liebste, selbst wenn wir annehmen wollen, ein Mensch könnte eine solche Weisheit erlangen, dass er den Titel verdient – wie könnte es die Krönung eines Lebens sein, die zu verlassen, die man liebt, wenn es doch offenbar Gottes Wille ist, dass die Liebe die größte Macht von allen darstellt? Das ist es doch, was der Lohn eines Daseins als perfectus wäre: Frau und Kinder zu verlassen und ein Leben in Einsamkeit zu führen. Ich weiß, wir nennen es ein Leben in Gottesfurcht, Keuschheit und Kontemplation, aber letztlich ist es doch nur das: ein trauriger, einsamer, kalter Lebensabend, den man sich dadurch versüßt, dass man behauptet, man habe die höchste Stufe unserer erbärmlichen Existenz erreicht. Die höchste Stufe unserer Existenz ist es, einander in Liebe zur Seite zu stehen!«
»Auch Jesus Christus hat gesagt, dass diejenigen, die ihm folgen, ihre Familien verlassen sollen …«
»Ich weiß nicht, warum er das gesagt hat. Ich nehme an, er hat sich geirrt.«
Rogers hielt den Atem an. Ein Mann, der bei den Bonhommes ein Ansehen wie Ramons Trencavel genoss und nur deswegen das consolamentum zur höchsten Weihestufe noch nicht erhalten hatte, weil er sein Leben dem Schwert geweiht hatte, um sein Volk zu schützen … durfte dieser Mann solche Gedanken haben, geschweige denn aussprechen? Rogers sah die Fassungslosigkeit im Gesicht seiner Mutter, aber in ihm selbst erklang eine Saite, die seine Seele zum Erzittern brachte.
»Der Herr … hat sich … geirrt?« , wiederholte Sariz mühsam.
»Jesus war ein Mensch wie wir!«, sagte Ramons. »Warum hat Gott seinen Sohn als fehlbaren Menschen auf die Welt geschickt? Doch nur, um uns zu zeigen, dass es ihm auf Perfektion nicht ankommt.«
Rogers ergriff das Wort. Ihm war schwindlig. »Papa«, sagte er. »Dein ganzes Leben hast du danach gestrebt, das consolamentum zu erlangen. Ich habe nicht weniger getan. Willst du jetzt sagen, dass wir den falschen Weg gegangen sind? Wir und alle anderen, die unseres Glaubens sind?«
»Nein, Rogers. Den Pfad zu beschreiten ist richtig. Sich anzumaßen, jemals an seinem Ziel angekommen zu sein, das ist der Fehler.«
Rogers starrte seinen Vater an. Auf der anderen Seite des Tisches saß Adaliz, bleich und erschrocken, doch in den Augenblicken, in denen Rogers sie beobachtete, blinzelte sie plötzlich, und etwas wie Erkenntnis leuchtete in ihren Augen auf.
Rogers sagte: »O Gott, Papa, weißt du, welche Last deine Worte von meinen Schultern nehmen?«
Ramons lächelte. »Ich denke schon, denn ich habe sie auch gespürt.«
»Ich habe mich immer für wertlos gehalten, weil ich wusste, dass ich nie das Stadium der Vollkommenheit erreichen würde …!«
»Und ich habe viele böse Worte gesagt, die diese Annahme bestätigt haben. Kannst du mir verzeihen angesichts dessen, dass ich am wenigsten vollkommen von euch allen bin und dass es manchmal doch möglich ist, dass ein alter Hund noch einen neuen Trick lernt?«
»Du wirfst das ganze Fundament unserer Kultur um!«, rief Sariz.
»Nein, Maman«, sagte Adaliz langsam. »Ich glaube, Papa schaufelt es gerade frei.«
»Was?«
Ramons nahm die Hände seiner Frau in die seinen. Sein Blick war so voller Zärtlichkeit, dass Sariz erneut die Tränen in die Augen stiegen und Rogers schluckte. »Christi Lehre war von Liebe, nicht von Fundamenten«, sagte er.
»Er hat Simon den Schlüssel zu seiner Kirche in die Hände gelegt und gesagt: Du bist der Fels!«
»Und sieh, wie diese harmlose Metapher alle unsere Herzen versteinert hat – die der Romchristen und die der Bonhommes.«
»Du kannst dir doch nicht anmaßen, über das Wort Christi richten zu wollen!?«
»Ich glaube, genau zu diesem Zweck ist es geschrieben worden – dass wir darüber nachdenken und es ständig in Frage stellen.«
Sariz suchte nach Worten. Ramons legte die Hand an ihre Wange. Sie hielt sie fest und schloss die Augen. »Gütiger Gott, Ramons, seit wann hast du diese Zweifel?«
»Seit ich weiß, worum es Kaiser Federico ging. Aber richtig klar geworden ist mir alles erst, als ich mich hier versteckte und zu fürchten begann, dass ich euch niemals wiedersehen würde.«
»Des Kaisers Botschaft war die Botschaft vom Sieg des Lichts …«, sagte Rogers langsam.
»Nein«, sagte Ramons. »In Wahrheit war sie die
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