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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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vernünftigen Handstrich zuwege gebracht hatte, war ihr ein Rätsel. Sie ahnte nicht, wie viele Handreichungen ihre Schwestern ihr tatsächlich abgenommen hatten, während sie sich besorgte Blicke zuwarfen. Tatsächlich wäre sie, hätte dieses Gefühl im Augenblick Raum in ihr gefunden, erstaunt gewesen, wie sehr ihr Verhalten dem Schwester Hedwigs im Kloster in Papinberc ähnelte – nur dass niemand sie zu füttern versuchte. Sie wäre auch erstaunt gewesen, wie nahe die Schwestern mittlerweile daran waren, genau das zu tun: Elsbeth aß von den kargen Portionen wie ein Vögelchen. Sie war blass und dünn und beinahe durchsichtig geworden. Wer in ihre riesigen dunklen Augen blickte, schüttelte sich angesichts der Gefühle, die er darin lesen konnte. Auch das war ein Unterschied zu Schwester Hedwig in den Papinbercer Tagen. In deren Augen hatte man stets das Licht der Gottheit wahrgenommen, auch wenn sie durch einen hindurchgeblickt hatten.
    Sie hatte alle Liebe für einen Mann, die sie jemals empfunden hatte, Rogers geschenkt, von dem Tag an, an dem er sie im Hildeboldsdom in Colnaburg geküsst hatte. Er war gekommen, hatte das Geschenk entgegengenommen, hatte ihr Wochen voller Glück zurückgegeben und war wieder gegangen und hatte ihr nichts gelassen außer der Hoffnungslosigkeit. Die Erinnerung an die vergangene Glückseligkeit hatte keinen Bestand gegen den Ausblick in die künftige Dunkelheit, in der sie ohne ihn wandelte.
    Es gab Gelegenheiten, da wünschte sie sich, sie wäre bei dem Überfall, dessentwegen Rogers geflohen war, umgekommen. Es gab Gelegenheiten, da wünschte sie, er wäre umgekommen. Alles wäre leichter gewesen, als zu wissen, dass er und sie weiter existieren würden, aber in getrennten Welten, in getrennten Universen, und dass es keine Chance gab, dass sie jemals wieder zusammen wären.
    Warum hatte er zurückkommen müssen? Warum hatte er, wenn er schon in sein altes Leben zurückgefunden hatte, dies ausgerechnet in Papinberc tun müssen? Eine junge Frau, die vertraut mit ihm tat – sein Weib? Manchmal versuchte sich ein klarer Gedanke in ihrem Hirn zu melden und murmelte: Du hast nichts als Adelheids reichlich hastig getroffene Annahme, die junge Frau könnte Rogers Weib sein! Aber die Hoffnungslosigkeit brauchte nicht mehr als diese Annahme und fragte bitter zurück: Soll ich etwa annehmen, sie wäre seine Schwester?
    Sie war nicht ein einziges Mal auf der Baustelle gewesen, seit Adelheid aus Papinberc zurückgekommen war. Selbst der Klosterbau hatte die Kraft verloren, ihr Frieden zu geben. Die wüste Fläche inmitten des Kreuzgangs war eine Beleidigung für ihre Pläne, und der Kirchenbau … es war ein Fehler gewesen, Wilbrand seinen Willen zu lassen. Die Kirche fühlte sich fremd an, fehl am Platz. Aber sie hatte auch keine Kraft, es dem Baumeister zu sagen und die Arbeiten aufzuhalten.
    Sie schaute der sich entfernenden Gestalt von Pfarrer Fridebracht nach. Er hatte sie soeben eingeladen, morgen bei der Christvesper in seiner Kirche zugegen zu sein. Sie konnte keine Freude darüber empfinden. Wenig später sah sie Wolfram Holzschuher am Klostertor vorbeiwanken, triefend nass und von Kopf bis Fuß schmutzig. Er war wieder im Wald gewesen. Je näher das Christfest kam, desto intensiver hatte er seine Gewohnheit wieder aufgenommen, allein im Wald umherzuirren und sich einzubilden, er könne dort plötzlich seine vermisste Tochter Jutta finden, wohlbehalten trotz all der Zeit, die sie nun verschwunden war.
    Wenn es einen Menschen in Wizinsten gab, dessen Gemütsverfassung Elsbeth nachvollziehen konnte, dann war es Wolfram. Dennoch machte sein Anblick sie erschauern. Mit letzter Kraft wandte sie sich ab und schlurfte in den Klosterbau zurück.
    10.
EBRA
     

     
    In der Morgendämmerung fand Bruder Hildebrand, der Sakristan und Baumeister von Ebra, endlich eine Möglichkeit, aus dem Kloster zu entkommen. Nicht, dass das Kloster plötzlich ein Gefängnis geworden wäre. Es fühlte sich nur so an, seit der Graf von Habisburch mit seinem Gefolge gestern im Abenddämmer angekommen war. Hildebrand wusste nicht genau, was ihn trieb, den schlüpfrigen, von der Nacht noch halb gefrorenen Pfad zum Rindenkobel hinaufzuhasten – vielleicht der Gedanke, dass Bruder Azrael ihn eines Tages in seiner Zelle heimsuchen würde, wenn er ihm nicht mitteilte, was er gesehen hatte.
    Wen er gesehen hatte.
    Der schlanke Mann war mit dem Grafen zusammen gewesen. Hildebrand hatte sich gefühlt, als wäre

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