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Die Pforten der Ewigkeit

Die Pforten der Ewigkeit

Titel: Die Pforten der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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wollte sie sagen. Ich habe nicht die Kraft  …
    Sie sah ein Dutzend erwartungsvoller, besorgter Gesichter. Sie konnte sie nicht im Stich lassen. Pfarrer Fridebracht war ihr egal … die Bürger von Wizinsten waren ihr egal … aber die Schwestern ihres kleinen Konvents durften ihr nicht egal sein!
    »Gehen wir«, sagte sie mit matter Stimme.
    Sie eilten mit eingezogenen Köpfen durch die Böen, bis den Schwestern klar wurde, dass Elsbeth nicht hinterher kam. Schließlich drängten sie sich um ihre diaconissa zusammen und begleiteten ihre langsamen, schweren Schritte die Klostergasse hinauf. Das Bimmeln von Sankt Mauritius untermalte ihr Vorwärtskommen wie eine Totenglocke. Vor dem Eingang der Kirche drängte sich halb Wizinsten und versuchte, ins Trockene zu gelangen. Die meisten wandten sich um und nickten den Schwestern zu, als diese triefend nass ankamen. Goldenes Kerzenlicht sickerte aus dem Kircheninneren. Pfarrer Fridebracht stand in seinem zerschlissenen Priesterornat neben dem Portal und winkte sie heran.
    »Ich freue mich, dass Ihr gekommen seid, ehrwürdige Schwestern«, sagte er und suchte mit den Blicken in der Schar der durchnässten Zisterzienserinnen nach einem bestimmten Gesicht. Er entspannte sich, als er Hedwigs Lächeln entdeckte.
    »Wir freuen uns über die Einladung«, erwiderte Adelheid, als Elsbeth keine Antwort gab.
    »Ihr betretet die Kirche ganz zuletzt«, flüsterte der alte Pfarrer nervös. »Dann geht Ihr alle bis zur Apsis vor. Ich gehe hinten durch die Sakristeitür hinein und empfange Euch vor dem Altar. Der Stadtrat hat seine Plätze im Chorumgang speziell für Euch geräumt. Es soll eine Anerkennung dafür sein, was Ihr für Wizinsten geleistet habt.« Erneut war es Elsbeth klar, dass er eigentlich nur Hedwig meinte.
    Elsbeth kämpfte sich aus ihrer tödlichen Stimmung wie ein Ertrinkender aus einem Sumpf und brachte den Geist eines Lächelns zustande. »Danke«, sagte sie.
    »Geht es Euch gut, Schwester?«
    »Ich bin nur … müde …«
    »So viele Menschen sind selten zur Christvesper gekommen.« Der alte Pfarrer nickte den Menschen zu, die durch das Portal drängten. Elsbeth roch das heiße Kerzenwachs, dessen Duft aus der Kirche strömte, ohne seine Hitze zu fühlen. Sie war zu Eis erstarrt. Der Weihrauchgeruch ließ es ihr erneut übel werden, und die Schläge der Kirchenglocke direkt über ihr spalteten ihr den Schädel. Sie hatte das undeutliche Gefühl, dass sie demnächst zusammenbrechen würde. »Ich war schon die ganzen letzten Tage voller Vorfreude, weil ich an der Anzahl der Beichtenden erkannte, dass es mehr Messbesucher sein würden als sonst. An so einem Tag fühlt man, dass Christi Geburt am Ende doch jeden angeht und … ah, nein! Aber das geht nicht. Nein … äh … bitte!«
    Elsbeth blickte auf. Von der Klostergasse herunter schritt ein letztes Paar spät herbeikommender Kirchgänger. Es waren Meffridus Chastelose und Constantia. Beide waren in mehr Pelze gehüllt, als Elsbeth jemals an Bischof Heinrich gesehen hatte. Ausnahmsweise trottete Ella Kalp nicht neben Constantia her; sie, ihr Mann Job und die kleine Ursi waren gerade lachend in die Kirche gegangen, als die Schwestern vor dem Portal angekommen waren. Auch Meffridus’ bullige Leibwächter waren nicht zugegen. Zu zweit und eingemummt gegen die Kälte wirkten die beiden plötzlich so normal und verletzlich wie alle anderen Menschen.
    »Was geht nicht, Hochwürden?«, fragte Meffridus und verneigte sich vor Elsbeth und den anderen. »Ehrwürdige Schwestern …«
    »Ich meine …«, stotterte der Pfarrer.
    »Dass ich Euch einen Pelz mitgebracht habe?« Meffridus ließ den Arm Constantias los und hängte dem schlotternden Pfarrer einen dicken, schimmernden Pelz um die Schultern. »Während der Messe müsst Ihr ihn wirklich ablegen, aber ansonsten gehört er Euch.« Er grinste. Selbst Elsbeth schien es, als bemühe er sich, sein Lächeln ehrlich wirken zu lassen und nicht wie früher als das Zähnefletschen eines Wolfs.
    Der Pfarrer seufzte. Constantia straffte sich. Ihr Gesicht war so abweisend und unter der eisigen Maske so verletzt wie üblich. Der Kerzenschein aus der Kirche hauchte einen warmen Ton auf ihre Wangen und zeigte zugleich, wie müde sie aussah. Es versetzte Elsbeth einen innerlichen Ruck und holte sie ein Stück aus ihrer Niedergedrücktheit. Sie kannte den Gesichtsausdruck. Zuletzt hatte sie ihn im dunklen Weihwasserbecken in der Kapelle der Klosterruine gespiegelt gesehen. Was

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