Die Pforten der Ewigkeit
Theodor her gewöhnt war – die große, würdige Halle der Kirche, die heilige Sinnfälligkeit der Klosteranlage, der Kreuzgang, die Pächtergebäude, die Stallungen …?
Eine ganze Anzahl von Menschen hielt sich außerhalb der Stadt auf. Elsbeth sah zwei Pflüge geduldig Furchen in die schmelzwassergetränkten Äcker ziehen, gefolgt von Männern und Frauen mit Hacken, die die Schollen weiter auflockerten. Andere verteilten mit Schippen den Inhalt in der Mitte durchgesägter Fässer; der aufsteigende Geruch ließ keinen Zweifel daran, dass die Fässer den Winter über mit dem gefüllt worden waren, was in den Aborten der Häuser durch die Sitzlöcher fiel. Nach und nach wurden die Feldarbeiter auf die Gruppe der grau gekleideten Nonnen aufmerksam, die die Straße herunterkam. Einige ließen die Werkzeuge sinken und rannten ein paar Schritte auf sie zu, bis sie wie bestürzt stehen blieben und die Köpfe zusammensteckten. Immer mehr ließen ihre Arbeit im Stich und gesellten sich zu Gruppen zusammen, deren Blicke Elsbeth und ihren Schützlingen folgten. Niemand winkte. Niemand rief ihnen zu oder lief ihnen entgegen. Als sich eine Wolke vor die Märzsonne schob, schienen die Äcker auf einmal Kälte auszustrahlen. Elsbeth zog Hedwig, die still und mit mildem Gesichtsausdruck neben ihr herwanderte, näher zu sich heran.
»Die haben jemand anderen erwartet«, murmelte Reinhild.
»Aber zuerst sind sie uns doch noch …«, warf Adelheid ein, aus deren Gesicht das Lächeln verschwunden war.
»Die haben keine Zisterzienserkutten erwartet«, präzisierte Elsbeth.
»Was dann?«
»Vielleicht dachten sie, die Benediktiner kommen zurück«, überlegte Reinhild.
»Was? Aber wie sollten sie das denken? Die Mönche werden sich doch von ihnen verabschiedet haben, als sie das Kloster aufgaben!«
Reinhild erwiderte nichts. Elsbeth dachte im Stillen über ihre Worte nach. Waren die Benediktiner weniger abgereist als vielmehr … verschwunden? Mit der üblichen Erbitterung erkannte sie, dass sie wieder einmal etwas Wichtiges versäumt hatte: in diesem Fall, sich näher damit zu beschäftigen, warum das Kloster in Wizinsten leerstand.
»Nicht zurückbleiben«, sagte sie, als die Gruppe sich unwillkürlich auflöste. Ein paar der Mädchen hatten den Feldarbeitern zugewinkt, ohne eine Antwort zu erhalten. Sie merkte, wie sich Verunsicherung breitmachte. Sie waren zwei Tage durch kahlen, finsteren, von Schmelzwasserbächen durchzogenen und von Nässe tropfenden Wald gestapft und hatten sich darauf gefreut, an ihrem neuen Wirkungsort anzukommen, und nun war das einzige Willkommen, das sie erhielten, bestürztes Schweigen. Ärgerlich ging ihr auf, dass sie in all der Aufregung vor der Abreise auch noch die eine Vorsichtsmaßnahme vergessen hatte, die sie sich vorgenommen hatte: Daniel bin Daniel, den Vorsteher der Judengemeinde Papinbercs, der über fantastische Verbindungen nach überallhin verfügte und sich dem Kloster gegenüber stets hilfsbereit gezeigt hatte, darum zu bitten, über seine zahlreichen Geschäftspartner die Ankunft der Schwestern in Wizinsten anzukündigen.
»Die sind nur ein bisschen überrascht, das ist alles.«
In der Stadt war es nicht anders als draußen zwischen den Feldern. Die Wachen am Tor ließen sie zwar ungehindert passieren, doch noch als sie durch die Obst- und Gemüsegärten stapften, die zwischen dem neuen Tor und dem noch als unterschiedlich niedriger Schutthaufen erkennbaren früheren Mauerring lagen, war ein Mann an ihnen vorbeigelaufen und im Durchgang des großen Turms verschwunden, der die Häuser überragte. Elsbeth hatte die Männer gefragt, welchen Namen das Tor trug, und sie hatten gleichzeitig »Neutor« und »Mühltor« gesagt, sich dann angesehen und zu streiten begonnen. Soweit Elsbeth verstanden hatte, hatten sie sich schließlich darauf geeinigt, dass das Tor mit den beiden Flankentürmen »Neutor« getauft worden war und nicht einfach den Namen des früheren Torturms übernommen hatte. Sie hatte auch verstanden, dass das frühere Mühltor nun das Rathaus der Stadt beherbergte; und somit war es das Rathaus, in das der Wächter gelaufen war, der sie überholt hatte.
»Sollen wir ihm folgen und den Bürgermeister begrüßen?«, fragte Adelheid.
Elsbeth schüttelte den Kopf. »Wir werden den Bürgermeister bei uns im Kloster empfangen«, sagte sie. »Sobald wir dazu bereit sind. Es muss von Anfang an klar sein, dass wir nicht als Bittsteller hierherkommen. Es ist für die Stadt
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